Die Maggan-Kopie
seinem Griff frei und begann in ihrem Rucksack zu wühlen.
„Dein Heldengetue in Ehren, aber vor einer Infektion bist auch du nicht g e feit. Vielleicht kann dich so etwas schneller umbringen, als ...“ Sie wollte das Wort nicht aussprechen.
„... als der Krebs“, beendete Sebastian ihren Satz und lächelte.
„Ja“, sagte Maggan tonlos. Sie sah ihm in die Augen und fühlte sich niedergeschlagen. Ihr bisheriges Leben war so sauber und behütet gewesen. Jetzt watete sie durch meterhohen Schlamm und musste feststellen, dass die Welt viel Gra u sames und Schreckliches bereithielt.
„Okay“, gab Sebastian nach und öffnete seine Kleidung. Er beobachtete Maggans Blick beim Anblick seiner Brust. Auch hier war der Krebs schon weit fortgeschritten. Maggans Finger glitten sanft über die entstellte Haut.
„Ich verst e he nicht ...“, begann sie zögerlich.
„Dass wir noch leben?“
„Ja.“
„Es ist eine neue Sorte Hautkrebs, fast wie Lepra, es zerfrisst die Haut. Die Wirkung ist wie bei Ve r brennungen. Erst wenn der Krebs über zwei Drittel der Haut zerfressen hat, wird es lebensbedrohlich. Ich habe also noch ein paar Jahre Zeit.“ Sebastian schien nicht verbittert. Er erzählte es, als ob er über Halsschme r zen oder Schnupfen reden würde. Maggan nahm ein T-Shirt aus ihrem Rucksack und tränkte es mit Desinfe k tionsmittel.
„Es wird weh tun.“ Sebastian blickte sie nur verwundert an. Er kam mit i h rem Ekel und der Abscheu zurecht, aber nicht mit diesem Mitleid. Maggan reinigte die Wunde. Er zuckte nicht einmal mit den Wi m pern, obwohl es furchtbar brennen musste . Dann verbannt sie die Stelle.
„Leben auch Frauen hier?“, fragte Maggan, während sie ihm wieder in die Kleidung half.
„Ja, auch Kinder.“
„Das ist unverantwortlich.“
„Vielleicht, aber wer soll hier was gegen wen ve r antworten?“
Am nächsten Tag kamen sie in die Berge. Das Wetter schlug um, und die er s ten Schneeflocken tanzten vom Himmel. Maggan und die Männer sahen das mit Besorgnis. Svenja dagegen war wie aus dem Häu s chen. Sie rannte wie ein Kind vor ihnen her, haschte nach den Flocken und kratzte den Schnee von den Fe l sen.
Am Abend war die Schneedecke schon so dick, dass Svenja Schneebälle formte und die Männer und Maggan damit bewarf. Thule warf einige zurück. Svenja lachte und flüchtete vor den nassen weißen Kugeln. Thule rannte hinter ihr her und warf sie zu Boden. Sie wäl z ten sich im Schnee wie Kinder.
Die Nacht wurde extrem kalt. Sie drängten sich alle im Zelt der Frauen eng zusammen, doch am nächsten Morgen waren sie trotzdem ganz steif gefr o ren.
„Der Winter kommt dieses Jahr sehr früh“, meinte Sönke. „Hier ist kaum was von der globalen Erwärmung zu spüren“, lachte er. Es war seine Art von H u mor.
„Nur die vielen neu entstandenen Seen und Flüsse sind ein Zeichen dafür“, meinte Maggan.
„Woher weißt du, was neu entstanden ist?“, fragte der Alte.
„Ich habe eine Karte“, gestand sie. Sie holte das Papier aus ihrer Jacke he r vor und den Kompass. Der Alte riss es ihr bestürzt aus der Hand und entfaltete es vorsic h tig, um nichts zu zerstören.
„Wo hast du das her? So etwas gibt es doch gar nicht mehr.“
„Ein Erbstück“, antwortete sie geheimnisvoll.
„Das ist genial.“ Er war überwältigt.
Sebastian kam ins Zelt gekrochen. „Was schreist du hier so rum? Ist etwas passiert?“
„Sieh dir das an! Maggan hat eine Karte der Zone. Das könnte uns weiterhelfen. Wir könnten unser Lager noch sicherer machen, wüssten, wo mögliche Fluchtwege wären, könnten die Camps mit den Lebensmitteln einzeic h nen.“
„Aber die Karte stimmt an allen Enden und Ecken nicht mehr. Einige Seen sind hier nicht verzeichnet und auch die Flüsse liegen zum Teil ganz a n ders.“
„Das können wir nach und nach korrigieren“, meinte Sebastian. „Aber die Gebirge sind sicher noch an derselben Stelle.“
„Ja, wahrscheinlich“, stimmte Maggan schmunzelnd zu. Sie konnte diese Freude über ein so banales Stück Papier kaum begreifen. In ihrem Comp u ter bei Delta könnte sie eine 3-D-Animation des Geländes erstellen, die auf Meter, fast Zentimeter genau wäre. Mit der Satellitentechnik ist das kein Problem – zumindest nicht für sie. Im Internet sind die Karten oberhalb des Polarkreises nicht mehr einse h bar. Es sind einfach weiße Stellen.
„Hier ist unser Dorf.“ Sönke tippte mit dem Finger auf die Ka r te.
„Ja, und hier ist die
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