Die Magie des Falken
Sippen des Dorfes traten in den Kreis. Während der Lachsschupper schwieg und geradezu feindselige Blicke um sich warf, übernahm sein Kollege von den Steinbrecher das Wort. Er räusperte sich und brauchte zwei Anläufe.
»Wir … Wir vom Titlingdorf, wir haben Eyvind Kelda viel zu verdanken.« Er machte eine kurze Pause, als ob er nach Worten suchte. »Unsere Gesundheit nämlich und das Glück in der Schlacht. Wir freuen uns deswegen, dass dieses Thing in unserem Dorf stattfindet.« Langsam kam der Sprecher in Fahrt und wurde sicherer. »Dank an euch alle, dass ihr da seid. Dank für die vielen Geschenke. Weil hier alle zusammen sind, möchte ich die Gelegenheit nutzen. Ich möchte euch alle bitten, bezeugt, wie die Söhne des Titlingdorfs mannbar gemacht werden. Wer von euch auch Jungen dabei hat, die Männer werden sollen, kann dabei sein. Hm. Ja, so machen wir es.« Sein Kollege flüsterte ihm etwas zu. »Ach ja«, fuhr er daraufhin fort, »natürlich. Wer etwas vorzubringen hat für dieses Þing, der soll es jetzt sagen. Ja.«
Daraufhin traten nacheinander mehrere Hersire vor, um die Gelegenheit zu nutzen und kleinere Fragen vorzubringen. Erst, als sie alle gesprochen hatten, begab sich Eyvindr ins Zentrum des Kreises.
»Auch ich danke allen für ihr Kommen. Besonders den Lachsschuppern und Steinbrechern für ihre Aufnahme. Große Ehre ist das Kommen des Hauknef Jarl! Für den weiten Weg aus dem Västergötland, dem Reich Skötkonungs, Bersi Skallagrimson.« Eyvindr nickte einem ziegenschädelbehängten Seimanni zu und begann mit einer geradezu endlosen Aufzählung, in der er jeden einzelnen der Hersire und Seimenn beim Namen nannte. Endlich war auch der letzte begrüßt.
Nach einer kurzen Pause fuhr Eyvindr fort:
»Ihr wisst, weshalb ich euch gerufen habe. Olafr Tryggvason ist in Viken, und er, der er sich auf die Nachfolge meines eigenen Urgroßvaters Harald Harfager beruft, möchte nicht etwa nur allein König sein. Doch dazu später. Unseren Gastgebern zu Ehren wollen wir zuerst ihrer Mannbarkeitsfeier beiwohnen. Sie haben uns eingeladen, uns ihnen anzuschließen – selten werdet ihr euere Söhne vor so vielen Zeugen zu Männern machen können!«
Damit trat er wieder in den Kreis zurück. Kyrrispörr strich seinem Falken übers Gefieder, aber mehr, um sich selbst zu beruhigen als den Vogel, der nur ab und zu den unter der Kappe verborgenen Kopf drehte und sich sonst auf der Faust wohl zu fühlen schien. Ständig musste Kyrrispörr daran denken: Wollte Eyvindr ihn vielleicht wirklich hier, vor den Augen der Herren ganz Norwegens, mannbar machen? Hatte Eyvindr das damals so gemeint? Oder nicht? Kyrrispörr hatte ja nur einen Fetzen von dem Gespräch mitbekommen. Bestimmt machte er sich ganz falsche Hoffnungen.
Zudem war da noch die Gewissheit, nachher vor allen über Tryggvason berichten zu müssen. Kyrrispörr schluckte. Es fühlte sich an, als habe er fein gemahlenen Steinstaub in der Kehle. Quer über den Platz fing er Æringas Blick auf. Sie lächelte ihm zu. Das beruhigte Kyrrispörr allerdings weniger, als es ihn verwirrte.
Die Väter der Titlingsiedlung traten jetzt einen Schritt vor. Ihre Hände hatten sie auf die Schultern ihrer Söhne gelegt. Nacheinander schritten sie nun vor das Oberhaupt ihrer Sippe. Zuerst legte der Vater seine Hände auf die Wangen seines Sohnes und murmelte Gebete; sodann sprach das Oberhaupt:
»Bedenke: Was du sagst, das sagst du ab jetzt als Mann. Dafür wirst du geradestehen müssen. Hm. Das Glück deiner Familie liegt jetzt auch in deiner Hand.« Der Hersir erhob die Stimme. »Also – es sei! Hakon ist nun ein Mann!«
Daraufhin brachen alle in Jubel und Beifall aus. So war es bei allen sechs Jungen. Jedes Mal, wenn der Beifall verebbte, trat wiederum der Vater vor und übergab dem vor Stolz glühenden Jüngling eine Gabe: Meistens war es eine Axt, zweimal ein Schwert und der sechste erhielt sogar ein Kampfmesser zum Schwert.
Als alle sechs Jungen zu Männern geweiht worden waren, traten nacheinander die Väter in den Kreis derer, die ihre Jungen auf die Reise mitgenommen hatten und die Gelegenheit nutzen wollten. Kyrrispörr fiel auf, dass jede Sippe auf andere Art verfuhr: Die einen zogen einen Seimann oder eine Völva hinzu, die gellend über dem knienden Knaben sang, den Mantel rauschen ließ und den Schutz der Götter anrief. Andere verkündeten die Taten der Anwärter mit lauter Stimme, träufelten etwas gesegneten Met auf die Stirne des Jungen und
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