Die Magie Des Herrschers
richteten sich auf. Der freundlich grinsende Krutor überragte den Mann um mehr als die Hälfte. Das Wachstum seines verkrüppelten Körpers schien noch immer nicht abgeschlossen zu sein. Unter dem Einfluss von Hemeròc war aus ihm ein gefährlicher, furchtloser Kämpfer geworden, der mit seiner überlegenen Stärke jeden Gegner bezwang.
Beobachtete man ihn im Alltag am Hofe, wo er sich in einer Mischung aus Hopsen und Laufen vorwärts bewegte, so traute man ihm die präzisen Schläge und schnellen Reaktionen niemals zu, die er bei den Übungen gegen seinen Lehrmeister an den Tag legte.
Wer in der Lage war, über seine Furcht einflößende Gestalt mit den unterschiedlich hohen Schultern, den schiefen Gliedmaßen, verkrümmten Beinen sowie dem symmetrielosen Schädel und dem abstoßenden Gesicht hinwegzusehen, entdeckte in dem Tadc ein Gemüt von unglaublicher Wärme. Doch nur den wenigsten gelang es, das Zerrbild zu durchschauen und die wahre, durch und durch gutherzige Natur Krutors zu erkennen.
Die Bediensteten, die schon lange mit ihm zu tun hatten, wussten es.
Den Mägden und Dienern tat es in der Seele weh. So bemühte sich Krutor beispielsweise vergeblich, sich einem Pferd zu nähern, ohne dass es voller Angst davonstob. Ulldrael hatte ihm aber nicht nur das menschliche Äußere genommen. Der Verstand des Thronfolgers war irgendwann in seiner Entwicklung stehen geblieben, während sich um seine Knochen mächtige Muskeln gelegt hatten. Niemand bestand gegen ihn im Kampf, aber wenn es um einfaches Rechnen, Lesen und Schreiben ging, benötigte der missgestaltete Spross des Kabcar eine kleine Ewigkeit, bis er etwas zu Stande brachte.
Ganz so einfältig, wie die meisten annahmen, war der Krüppel jedoch nicht. Das Denken fiel ihm allmählich leichter, dennoch behielt er nach außen seine naive Art bei. So wurden in seiner Gegenwart leichtfertigerweise Dinge geäußert, über die man sonst nur hinter vorgehaltener Hand sprach. Auf diesem Weg gelang es Krutor sehr zügig herauszufinden, welche von den Dienern es ehrlich mit ihm meinten und welche nicht.
Alle, die Krutor kannten, verstanden den Hass, den der Herrscher von Tarpol gegen Ulldrael hegte, erst recht. Das Volk liebte den Kabcar und befolgte den abgeänderten Wortlaut der Lobpreisungen zu Ehren des Gerechten; nur vereinzelt weigerten sich Leute, von den alten Sprüchen und Riten abzuweichen. Sie verschwanden irgendwo im Dunkel, ohne dass sich jemand um ihr Schicksal kümmerte.
»Ich bringe Euch gleich eine neue Kanne mit Wasser, hoheitlicher Tadc«, verabschiedete sich der Livrierte.
»Nein, lass nur«, rief Krutor hinterher, »ich kann es mir selbst holen. Der Brunnen ist gleich im Garten.«
»Nein, hoheitlicher Tadc. Ich bin dazu da, um Euch Eure Wünsche zu erfüllen«, beharrte der Diener nachsichtig lächelnd. »Und es war meine Ungeschicktheit, dass Ihr nun dursten müsst.«
»Ich hätte die Tür auch weniger schnell aufmachen können«, entgegnete Krutor. »Klirr, klirr. Meine Schuld. Geh nur.«
Der Mann verbeugte sich und verschwand.
Der Thronfolger lief hinüber zu den großen, gläsernen Flügeltüren und öffnete sie vorsichtig, um den Griff nicht zu beschädigen. Obwohl die Ausgänge sehr hoch gestaltet waren, musste er sich bücken, um ins Freie zu gelangen.
Singend lief er durch den sonnendurchfluteten Garten, und dass er die Töne dabei nur selten traf, störte ihn nicht weiter. Krutor blieb gelegentlich stehen, sah Vögeln beim Nestbau zu und versuchte, ihre bezaubernden Lockrufe zu imitieren. Wenn eines der Tiere scheinbar antwortete, klatschte er vor Freude in die Hände und hüpfte weiter den Weg entlang, bis er schließlich beim kleinen Teich angelangt war.
Da er sich unbeobachtet glaubte, watete er ein paar Schritte in das Gewässer und ließ sich das Quellwasser aus dem Springbrunnen in den Mund schießen. Lachend schluckte er das Nass, und als er genug hatte, füllte er sich damit die Backen, stellte sich in eine heldenhafte Positur, wie er es bei Statuen sah, und spuckte einen dünnen Strahl in hohem Bogen aus.
»Du kannst das sehr gut, Bruder«, lobte ihn eine bekannte Stimme in seinem Rücken.
Ertappt und rot vor Scham drehte er sich um, um sich Govan zuzuwenden. »Ich wollte nur was trinken. Und da ist mir eingefallen, wie die steinernen Männer immer aussehen. Das wollte ich auch einmal versuchen.« Planschend kehrte er ans Ufer zurück und schaute auf den Erstgeborenen herab. Verschiedener hätten die Brüder nicht
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