Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
wenn sie beim nächsten Mal ein Auge verliert? Wie nennt ihr das dann? Ein Missgeschick?«
Léti konnte ihren Unmut nicht länger zügeln. »Und wenn die Züu mir einen Dolch in den Bauch stoßen und ich mich nicht wehren kann? Wäre das dann eine bedauerliche Tragödie?«
Corenn verschlug es die Sprache.
»Ich habe die Nase voll davon, mich auf andere Leute zu verlassen«, sagte Léti etwas ruhiger. »Ich will die Chance haben, einen Angriff zu überleben, auch wenn niemand da ist, um mich zu beschützen. Deshalb werde ich, sollte es wieder zu einem Angriff kommen, Grigán und Rey und allen anderen, die für mich kämpfen, zur Seite stehen. Wenn es sein muss, lerne ich eben im Kampf, mich zu verteidigen.«
Corenn suchte Grigáns Augen. Sie selbst wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
»Mir hat sie draußen den gleichen Vortrag gehalten«, brummte er.
Corenn ging ein paar Schritte auf und ab. Im Rat des Matriarchats traf sie Entscheidungen, die ganze Völker betrafen. Warum gelang es ihr nicht, ihre eigene Nichte zur Vernunft zu bringen? Ironie des Schicksals!
»Du hast also beschlossen, dass du kämpfen wirst - egal, was geschieht, und egal, was ich sage?«
»Ja.«
»In diesem Fall ist es wohl das Beste, wenn Grigán dir ein paar Ratschläge gibt. Natürlich nur, wenn er einverstanden ist.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte er, erleichtert, so leicht davongekommen zu sein.
»Gleichwohl möchte ich dich um einen Gefallen bitten, Léti. Halt dich aus allen Kämpfen heraus, bis Grigán sagt, dass du bereit bist.«
Das Mädchen tat, als müsste es über den Vorschlag nachdenken. Dann gab Léti Corenn ihr Wort, um sie zu besänftigen und den Streit zu beenden. Endlich einmal hatte sie in einer Diskussion mit ihrer Tante die Oberhand behalten.
Sie sah nicht, wie Corenn und Grigán einen verschwörerischen Blick wechselten.
Einer von Rajis Lieferanten stattete ihm kurz vor Sonnenuntergang einen Besuch ab. Er zog drei Pferde hinter sich her, die mit Stoffen aus Far beladen waren. Der kleine Mann beeilte sich, das Vermögen nach unten ins Lager zu bringen, und hoffte von ganzem Herzen, seine Gäste würden in ihrem Versteck bleiben.
Doch er hatte die Rechnung ohne Grigáns krankhaftes Misstrauen gemacht. Der Krieger baute sich vor dem Neuankömmling auf und beäugte ihn argwöhnisch. Die Botschaft war klar. Der Lieferant, der aus den Fürstentümern stammte, sagte kein Wort und verließ Hals über Kopf den Hof. Was diese Leute, die sich bei Raji versteckten, auch angestellt hatten, er legte sich lieber nicht mit ihnen an.
»Erst zwingt Ihr mich, Euch Unterschlupf zu gewähren«, knurrte der Lorelier, »und jetzt verderbt ihr mir auch noch das Geschäft!«
Raji schien mit sich selbst zu reden, weshalb ihn Grigán ignorierte. Der jammernde Schmuggler war ihm zuwider. Aber im Grunde waren ihm alle Lorelier mehr oder minder zuwider, dachte er, als ihm Rey einfiel.
Er versperrte die Falltür zum Stall von innen. Die Erben würden ihre zweite Nacht in dem Keller verbringen. Und am Morgen der dritten Nacht würden sie nach Lorelia gehen und die Züu treffen.
Sie hatten draußen zu Abend gegessen, vor Rajis Haus, trotz der Proteste und der hartnäckigen Weigerung des kleinen Mannes, sich ihnen anzuschließen. Mittlerweile waren die Gefährten in den Keller zurückgekehrt.
Obgleich ihnen die Nacht auf der Insel Ji, in der sie kein Auge zugetan hatten, immer noch in den Knochen steckte, stand niemandem der Sinn danach, schlafen zu gehen, vor allem Bowbaq nicht, der den ganzen Tag nichts anderes getan hatte. Er fühlte sich wieder vollkommen gesund, auch wenn er bisweilen noch vor Schmerzen das Gesicht verzog.
Die Gefährten spürten den Drang, miteinander zu sprechen, denn jeder hatte etwas zu erzählen oder wollte die anderen nach ihrer Meinung fragen. Alle trieben die gleichen Fragen um: das Treffen mit den Züu, ihre ungewisse Zukunft, ihr namenloser Feind und vor allem das Geheimnis der Insel.
Zum ersten Mal, seit sie vor der Pforte gestanden und die andere Welt gesehen hatten, waren alle beisammen, um ihre Eindrücke auszutauschen. Sie waren ausgeschlafen, befanden sich nicht auf der Flucht und niemand lauerte ihnen auf.
In stillschweigendem Einvernehmen setzten sie sich im Halbkreis um Corenn. Grigán gesellte sich als Letzter dazu.
»Ich nehme an, niemand hat Lust, eine Partie Stern zu spielen«, sagte Rey. »Schade, sechs Spieler wären genau richtig.«
»Ich mag keine
Weitere Kostenlose Bücher