Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
Bergen im Osten auf. Das Tal muss also irgendwo im Rideau liegen!«
Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Alle außer Corenn und Grigán mussten die Nachricht erst einmal verdauen.
»Irgendwo im Rideau, du bist lustig«, sagte Rey. »Das Gebirge ist dreimal so groß wie das Matriarchat und äußerst unwegsam.«
»Leider stimmt das. Man kann nicht darauf hoffen, durch Zufall auf das Tal zu stoßen. Kein Erbe hat sich je an dieses Abenteuer herangewagt. Zumal es auch eine falsche Fährte sein kann, falls das Tal doch in einer anderen Welt liegt«, sagte Corenn.
»Wir sind also genauso schlau wie vorher.«
»Tante Corenn. Was hältst du von Bowbaqs Geschichte? Kann es sein, dass sich hinter der Pforte das Land der Dämonen befindet?«
Vergeblich suchte die Ratsfrau nach tröstenden Worten, die keine Lüge wären. »Alles ist möglich, Léti. Alles.«
Corenn ging durch den Kopf, dass die Suche nach der Wahrheit vielleicht noch größere Gefahren barg als ihre Flucht vor den Züu. Doch diesen Gedanken sprach sie lieber nicht aus.
Als Yan sich hinlegte, hatte er eine Münze vor Augen und wirre Ideen im Kopf. Beides raubte ihm den Schlaf.
Corenn und Grigán hatten ihnen von den Legenden erzählt, die die Erben zusammengetragen hatten. Sie handelten von Pforten, die der auf der Insel Ji ähnelten, und von geheimnisumwobenen Ländern und Dörfern, in denen nur Kinder wohnten. Die meisten klangen, als wären sie frei erfunden und stammten eher von Dichtern als von Priestern oder Reisenden. Manche waren allerdings einer näheren Betrachtung wert. Yan rief sie sich ins Gedächtnis und versuchte, ihr Geheimnis zu ergründen.
Einer Legende zufolge würde eines Tages ein Heer unbesiegbarer Krieger aus dem Großen Sohonnischen Bogen heraustreten - einem arkischen Bauwerk, das der Pforte von Ji ähnelte - und die Kinder des Weißen Landes vor einer dunklen Bedrohung retten. Selbst Bowbaq, der aus Arkarien stammte, hatte noch nie davon gehört.
Eine weitere Legende, vermutlich religiösen Ursprungs, handelte von einem wunderschönen Land, in dem die Geister der Weisen in Gestalt von Kindern wiedergeboren werden. Es war die zuversichtlichste Geschichte, aber auch die rätselhafteste.
Daraufhin erinnerte sich Rey an eine Legende, der zufolge treue Anhänger einer Religion an der Seite ihrer Göttin wiedergeboren wurden, um ihr bei ihrem Großen Werk zur Hand zu gehen.
Als die anderen nachhakten, gab er den Namen des Paradieses und der Göttin preis: Lus’an und Zuïa. Seine Freunde fanden den Scherz geschmacklos, vor allem, weil das rätselhafte Tal vielleicht tatsächlich das Lus’an der Mörder im roten Gewand war.
In einer Legende war von Pforten die Rede, mit denen man die Zeit überwinden konnte. Wer hindurchging, wurde unsterblich, zog aber den Zorn der Götter auf sich und war für die Ewigkeit verflucht.
Eine weitere handelte von einem märchenhaften Königreich, dessen Eingang von Kindern bewacht wurde. Nur wer diese Wächter bezwang, konnte das Reich betreten. Die Geschichte sagte allerdings nicht, was so furchterregend an diesen Kindern war.
So viele Legenden …
Ihre Gemeinsamkeiten - Kinder, Pforten, Täler, Götter, großes Unglück - waren erschreckend. Andererseits gab es bei der Fülle an Geschichten, die in jedem Winkel der bekannten Welt kursierten, zwangsläufig wiederkehrende Motive.
Die Urheber dieser Geschichten hatten vielleicht einen Teil der Wahrheit gekannt, anderes hatten sie dazu erfunden. Wie sollten die Gefährten Wahrheit und Dichtung unterscheiden? Und vielleicht war das, was sie auf der Insel gesehen hatten, doch etwas ganz anders?
Am nächsten Morgen fühlte sich Yan wie gerädert. Die Fragen hatten ihn die ganze Nacht beschäftigt und ihn bis in den Schlaf hinein verfolgt. Im Traum vermischte sich seine Erinnerung an die Pforte auf Ji mit Legenden von Tälern und Dämonen, die Münzen durch die Luft schweben ließen.
Er war enttäuscht, Léti nirgends zu sehen. In der Nacht zuvor hatte sie sich eine Weile neben ihm ausgestreckt, und er hatte gehofft, dass sie das wieder tun würde. Schon das kleinste Zeichen ihrer Zuneigung machte ihn glücklich. Zwar hatten sie sich gestritten, er hatte den Tag der Versprechen verstreichen lassen, und Rey war, ohne etwas davon zu ahnen, ein gefährlicher Konkurrent, doch so schnell gab Yan nicht auf.
Die anderen waren bereits aufgestanden, und Yan war allein im Keller. Rasch zog er sich an und fragte sich, welcher Dekant es wohl war.
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