Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
Samenkorn zum Keimen, das in der Erde schlummert.«
»So etwas können wir?«, hatte er verblüfft gefragt.
»Natürlich. Du kannst alles tun, was du dir vorstellen kannst - außer Neues erschaffen, denn das ist den Göttern vorbehalten. Und auch über die Zeit haben wir keine Macht. Sie ist die mächtigste Kraft der Welt. Selbst die Götter sind ihr unterworfen.
Was geschehen ist, ist unumkehrbar. Vermutlich können die Götter einen Menschen noch Jahrhunderte nach seinem Tod zum Leben erwecken, da die Priester so etwas predigen. Doch selbst die Allmächtigen können nicht ändern, dass dieser Mensch in der Vergangenheit gestorben ist.«
Solche Gespräche verwirrten Yan. Corenn wusste, dass sie bisweilen etwas zu schnell voranschritt. Der fünfzehnjährige Fischer musste unzählige neue Gedanken aufnehmen, doch Yan war alles andere als ein Dummkopf, und Corenn hatte nicht viel Zeit. Niemand konnte wissen, wie viele Tage ihnen noch blieben, bis ein Angriff der Züu oder eine andere Katastrophe ihrem Unterricht ein Ende setzte.
Sie musste ihm in kürzester Zeit so viel wie möglich beibringen. Nicht, weil ihnen das von Nutzen sein würde, sondern einfach, weil Yan eine solche Begabung hatte, dass es eine Schande wäre, sie brach liegen zu lassen.
»Erzähl noch einmal, was du fühlst, wenn du deinen Willen entfesselst«, bat Corenn. »Erzähl mir von den Schmerzen.«
Es fiel ihm nicht schwer, sich daran zu erinnern.
Er hatte seinen Willen nun schon viermal gebraucht, und die Erfahrung war alles andere als erfreulich gewesen.
»Es ist, als stürzte die ganze Welt auf mich ein. Urplötzlich. Ein bisschen wie beim Aufwachen, aber sehr viel unangenehmer. Ich habe das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen und zugleich bei lebendigem Leib zu verglühen. Meine Augen brennen, die Ohren summen …«
»Aber dieser Moment geht schnell vorbei«, unterbrach ihn Corenn. »Ich werde dich lehren, weniger darunter zu leiden. Beschreibe mir das Gefühl danach.«
»Ich fühle mich sehr schwach. Ich bin zutiefst erschöpft. Und mir ist kalt, aber das kann auch Zufall sein.«
»Nein. Genau so ist es. Wir nennen diesen Zustand die Reglosigkeit.«
Gespannt wartete Yan darauf, dass sie weitersprach, denn er kannte diesen Gesichtsausdruck mittlerweile. Gleich würde die Ratsfrau ihm ein weiteres Geheimnis der Magie enthüllen.
»Dein Wille ist eine Kraft, die dein Geist auf ein Ziel richtet. Er schöpft diese Kraft aus deinem Körper. Deshalb verfällst du in Reglosigkeit. Je schwieriger die Aufgabe, desto mehr wird dein Körper geschwächt. Wir nennen dieses Phänomen auch den Rückschlag. Er ist das Einzige, was den Möglichkeiten der Magie Grenzen setzt.«
»Zum Glück geht das Gefühl schnell wieder vorbei«, bemerkte Yan. »Man darf sich nur eine Weile nicht bewegen.«
»Im Zustand der Reglosigkeit raubt dein Geist seiner Umgebung Kraft, die dein Körper wieder in sich aufnimmt. Das Gras, die Erde, die Bäume rauben ihrerseits ihrer Umgebung Kraft, und dieser Austausch setzt sich bis zu deinem Ziel fort, das durch den Angriff über überschüssige Kraft verfügt. So wird das Gleichgewicht wiederhergestellt.«
»Das ist doch wieder eine Eurer persönlichen Theorien, oder? Ich sehe es Euch an!«
»Diese Frage beantworte ich nicht.« Corenn lächelte. »Du musst selbst wissen, was du für richtig hältst.«
»Ich glaube, Ihr habt recht«, sagte Yan nachdenklich. »Mir gefällt die Vorstellung, Leben mit den Bäumen auszutauschen.«
So hatte Corenn das noch nie betrachtet, und sie mochte das Bild. Doch darum ging es bei dieser Lektion nicht. Yan musste lernen, sich vor seinem Willen zu hüten. Ihn sogar zu fürchten. Sie setzte eine ernstere Miene auf.
»Yan, die Reglosigkeit kann tödlich sein. Wenn dein Wille eines Tages deinen Verstand unterwirft, wenn du ihn so sehr anschwellen lässt, dass er außer Kontrolle gerät und deinen Überlebensinstinkt besiegt, dann zieht er alle Kraft aus deinem Körper. Das ist ein schrecklicher, grausamer und schmerzhafter Tod. Sei dir deiner Verletzlichkeit immer bewusst. Lass deinen Geist nichts tun, dessen dein Körper nicht fähig ist.«
Er nickte voller Entsetzen.
Corenn hatte in den vergangenen Tagen so viele Warnungen ausgesprochen, dass er großen Mut würde aufbringen müssen, um seinen Willen überhaupt noch einmal zu gebrauchen.
»Es ist also unmöglich, in einer Dezille eine Blume wachsen zu lassen«, sagte er. »Es sei denn, man ist bereit, dafür zu sterben.«
»Es gibt
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