Die Magier 04. Kinder der Ewigkeit - Le Doyen Eternel
es zum Kampf kam. Enge Gänge wurden erforscht, bevor sie zugeschüttet oder mit Fallen ausgestattet wurden. Eine so raffinierte Anlage hatte es in der Geschichte der strategischen Kriegsführung noch nie gegeben, dachte Zamerine stolz. Und das war zum größten Teil sein Verdienst.
Mit einem Fingerschnippen befahl er seinen Gehilfen zu sich. Dyree schien nicht gerade erfreut, dass er ihn so lange vor dem Tunnel hatte warten lassen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich dazu durchrang, seinem Herrn zu folgen, doch Zamerine war in solcher Hochstimmung, dass ihn das nicht weiter kümmerte.
Er begab sich geradewegs zum Tol’karu, Saats Palast, ohne auf weiteren Begleitschutz zu warten. Dazu war die Nachricht viel zu wichtig. Ihm lag daran, sie dem hohen Dyarchen unverzüglich zu überbringen, und zwar höchstpersönlich.
Kaum waren sie die ersten Stufen zur Festung hinaufgestiegen, traten ihnen zwei Gladoren aus Saats Leibgarde in den Weg. Damit hatte Zamerine gerechnet.
»Ich habe dem hohen Dyarchen etwas sehr Wichtiges zu sagen. Lasst ihn wecken.«
»Das ist unmöglich, Euer Exzellenz. Wir sind strikt angewiesen, niemanden hereinzulassen.«
»Er hat mich selbst gebeten, ihn umgehend zu benachrichtigen«, entgegnete Zamerine gereizt. »Ich fordere Euch auf, uns durchzulassen. Das ist ein Befehl!«, sagte er mit schneidender Stimme.
Doch die Wachen rührten sich nicht vom Fleck, ja sie ließen sich noch nicht einmal dazu herab, dem Mann zu antworten, der ihr oberster Befehlshaber war - gleich nach den beiden Dyarchen.
Angesichts ihres Starrsinns tat der Judikator, als wende er sich zum Gehen, und beugte sich zu seinem Gehilfen hinab. »Entwaffne diese beiden Narren«, flüsterte er ihm ins Ohr.
Wie entfesselt schnellte Dyree die Treppe hinauf, überrumpelte den ersten Gladoren, indem er ihm die Hellebarde entriss, und stach den zweiten mit seinem Hati nieder. Dann schnitt er dem wehrlosen Mann kaltblütig die Kehle durch. Beinahe gleichzeitig gingen die beiden Wallatten zu Boden, während Dyree mit der Hellebarde in der Hand zwischen ihnen stand.
»Ich sagte, du sollst sie entwaffnen!«, brüllte Zamerine, den die Grausamkeit seines Gehilfen überrascht hatte. »Hast du jetzt auch noch den Verstand verloren?«
Der Beschimpfte schwieg hochmütig und sah seinem Herrn herausfordernd in die Augen. Er zeigte seine Treue zu Zuïa, indem er voller Hingabe ihr Urteil vollstreckte. Darin bewies er ein beängstigendes Talent. Da die Zeit drängte, beschloss Zamerine, seine Ermahnungen auf später zu verschieben, zumal Saat vermutlich Verständnis für den Tod seiner beiden Wachen haben würde. Der Judikator stieg zu dem schweren Tor hinauf und stieß es mit einem kräftigen Ruck auf.
»Ich hoffe, Ihr habt gute Gründe, mich zu stören, mein kleiner Zü«, ließ sich die Stimme eines Kindes vernehmen, die in den endlosen Gängen widerhallte.
»Und ob, Meister«, versicherte Zamerine, den dieser Empfang etwas aus der Fassung brachte. »Wo … Wo seid Ihr?«
»Im Harem. Kommt allein, ich lege keinen Wert darauf, Bekanntschaft mit dem Dolch Eures ungestümen Freundes zu machen. Außerdem muss irgendjemand meine Tür bewachen, nachdem Ihr Euch ungebeten Zutritt verschafft habt!«
Zamerine stammelte eine Entschuldigung und machte sich auf den Weg durch den finsteren Palast. Er bereute, keine Laterne mitgenommen zu haben. Dennoch fand er sich blind zurecht: Schließlich hatte der Judikator das gewaltige Bauwerk selbst entworfen.
Was Saat den Harem nannte, war in Wirklichkeit nur ein unbedeutendes Nebengebäude, in dem die gegenwärtig rund sechzig Konkubinen eingeschlossen waren. In dem großen, prachtvoll ausgestatteten Saal fanden die zügellosen und grausamen Orgien statt, denen sich der hohe Dyarch in seinen schwärzesten Momenten hingab.
»Nur herein«, befahl die Kinderstimme. »Fürchtet Ihr etwa, röter zu werden als Euer schönes Gewand?«
Zamerine gehorchte und kämpfte vergebens gegen die Angst, die in ihm aufstieg. Zum unzähligsten Mal fragte er sich, warum es ihm ausgerechnet vor diesem Mann so sehr graute. Weil seine Kräfte nichts Menschliches mehr haben.
Saat, oder vielmehr das Kind, dessen Körper er geraubt hatte, saß im Schneidersitz zwischen weichen Kissen. Wie üblich trug er seine Sturmhaube, die auf einem so schmächtigen Wesen übermäßig groß wirkte. Eine Frau lag nicht weit von ihm auf dem Boden, nackt, mit leerem Blick. Zamerine versuchte, nicht daran zu denken, was der Hexer ihr
Weitere Kostenlose Bücher