Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Treppe hinuntergestiegen war, waren nun verdeckt. Der ganze Raum war noch nicht zu sehen, aber von hier oben aus konnte sie bereits erkennen, dass mehrere Paare von Füßen dort nahe beieinander standen, wo vor ein paar Augenblicken noch keine gewesen waren. Für die Trinker ist es doch ein bisschen früh , überlegte sie. Muss wohl eine Mannschaft sein, die gerade aus dem Hafen gekommen ist. In einer Hafenstadt wusste man ja nie. Sie stieg ein paar Stufen hinunter, als plötzlich eine laute Stimme ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Worte ließen ihr Blut wie Eis durch die Adern strömen.
»Mein Name ist Laquebus«, verkündete diese befehlsgewohnte Stimme. »Artemus Binns, hiermit seid Ihr in den Gewahrsam der Marine Seiner Majestät genommen. Ihr werdet eingekerkert werden, bis ein Transport zum Königlichen Tribunal auf Pecheta arrangiert werden kann. Dort werdet Ihr unter der Anklage, Piraterie auf hoher See betrieben zu haben, vor Gericht gestellt werden. Und mögen die Götter Eurer Seele gnädig sein.«
Falkin hockte sich hin, um wie ein ungezogenes Kind durch die Leisten des Treppengeländers zu spähen. Der Schankraum, der leer gewesen war, als sie vor Kurzem die Stufen hinaufgetrabt war, war nicht nur überfüllt – jeder Quadratzentimeter Boden wurde von Männern beansprucht, die mit den blaugoldenen Uniformen der Königlichen Marine ausgestattet waren. Ein Mann, prächtig in ein blausamtenes Wams und eine weite, weiße Satinhose gekleidet, rollte eine Schriftrolle zusammen und lächelte dabei. Es war ein angespanntes, böses Lächeln voller Verachtung für den Gefangenen. Neben ihm stand ein weiterer Mann, nervös und mit scharfen Gesichtszügen, der scharlachrote Kaufmannsgewänder trug. Anders als sein Gefährte schien er ständig die Stirn zu runzeln; immer wieder sah er sich nach rechts und links um, als hätte er Angst, dass sich jemand anschleichen und ihn packen könnte. Aber es war die Gestalt hinter den beiden, die Falkin den Atem stocken ließ.
Er – oder vielleicht auch sie? Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden – war vollständig in eine rostrot und schwarz gefärbte Robe gehüllt; weite Ärmel verdeckten die Hände, und die Kapuze war so weit heruntergezogen, dass das Gesicht nur gerade so eben als Schatten in ihren Tiefen zu erkennen war. Den einzigen Schmuck bildete ein Stück blauen Bandes, das an die Außenseite des linken Ärmels genäht war. Sie hatten einen Danisober mitgebracht. Falkin wurde schwindelig, dann kämpfte sie gegen die Panik an, die in ihrer Brust aufwallte.
Binns stand neben dem Tisch, die Hände auf den Rücken gekettet, sein Gesicht war fast so grau wie sein Haar. Als ob er ihren Blick hätte spüren können, wandte er leicht den Kopf und sah ihr in die Augen. Falkin hatte einen Kloß im Hals und schluckte heftig – keine Zeit für Gefühle, nicht, wenn Binns ihre Hilfe brauchte. Sie legte eine Hand auf den Degengriff und richtete sich auf. Jemand musste nach all dieser Zeit seine alten Logbücher aufgestöbert haben. Oder aber derjenige, der sie für ihn verwahrte, hatte endlich beschlossen, sich das Kopfgeld zu sichern. Es gibt nur noch einen Ausweg , dachte sie, Blutvergießen. Ich wollte ja nie ewig leben. Verdammt, vielleicht werden die Götter ja gnädig sein und gestatten, dass ich den Magus mit in den Tod nehme , versprach sie sich selbst.
Bevor sie sich jedoch bewegen konnte, schüttelte Binns plötzlich den Kopf, warf den Pferdeschwanz über eine Schulter und dann zurück in ihre Richtung. Sie ließ den Blick ans Ende des Raumes schweifen. Die beiden Männer, deren Gespräch sie unterbrochen hatte, lehnten mit verschränkten Armen und befriedigtem Gesichtsausdruck an der Wand. Jetzt, da sie unter ihren Umhängen hervorgekommen waren, erkannte sie sie auch. Die beiden, die gestern Abend gewürfelt hatten. Was mochten sie hiermit zu tun haben? Und warum wollte Binns, dass Falkin sie bemerkte?
»Ich fürchte, Ihr verwechselt mich mit irgendeinem Kriminellen, Herr Lackmus«, sagte Binns nun und sprach den Namen des Mannes nur ein wenig lauter als nötig und noch dazu falsch aus. »Mein Name ist Nesbit. Ich bin ein kleiner Gewürzhändler und Kapitän der Schaluppe Caprice . Wir sind gerade gestern eingelaufen, um ein paar Reparaturen zu erledigen. Erkundigt Euch beim Hafenmeister, wenn mein Wort Euch nicht genügt.«
Der Mann, der die Schriftrolle in der Hand hatte, runzelte die Stirn. »Ihr verschwendet nur Eure Atemluft, wenn Ihr auf
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