Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Magie war durchaus stark gewesen, als sie sich auf See befunden hatte. Das war eine Eigenheit, die ihr jetzt hervorragende Dienste leisten konnte, wenn sie bald bis zu den Knien in Meerwasser stünde. Warum erlegte das Wasser ihr, anders als anderen ihrer Art, keine Beschränkungen auf?
»Sobald Ihr ordentlich durchgeweicht seid, werde ich zur Schule aufbrechen.« Er blätterte noch eine Seite um und seufzte. »Warum habt Ihr so an diesem Buch gehangen? Es liest sich doch recht langweilig.«
Sie rollte probehalber die Schultern. Ein stechender Schmerz schoss durch die rechte, so dass Falkin die Zähne zusammenbiss. Sie hob den unverletzten linken Arm, packte die Gitterstäbe des Fensters und stemmte die Füße gegen die Steinwand. Das Gitter hielt.
»Es hat keinen Sinn, dass Ihr Euch ermüdet«, sagte Cazador. »Ihr könnt auf diese Art und Weise nicht ausbrechen. Nicht ohne eine Kanone, um das Dach aufzuschießen.« Er beugte sich nahe zur Öffnung und spähte zu ihr hinein. »Habt Ihr Hunger?«
Falkins Magen zog sich bei dem Wort zusammen. Im Wirtshaus hatte sie wenig gegessen. Die Erinnerung an die Süße der Beryllfrucht wurde ihr im Mund sauer.
Cazador lehnte sich zurück und wühlte wieder in der Ledertasche. Er zog eine runde, rote Sahnefrucht hervor und streckte sie ihr hin. »Sicher?«
»Ich nehme keine Geschenke von Danisobern«, blaffte sie.
»Ich, ein Danisober?« Er lachte. »Das würde ich kaum sagen.«
»Was würdet Ihr dann sagen? Dass Ihr nur für sie arbeitet?« Sie schnaufte. »Das beruhigt mich ja ungemein! Ihr könnt die Frucht behalten. Da habe ich doch lieber Hunger.«
»Ich glaube nicht, dass Ihr das ernst meint.« Ein Geräusch folgte – das Brechen einer reifen Obsthaut, so, als ob jemand ein großes Stück abbiss. Der Duft wehte bis zu Falkin und ließ ihren Magen lauter knurren als vorher. Sie schluckte und knirschte bei dem Versuch, ihr Verlangen nach Nahrung zu unterdrücken, mit den Backenzähnen.
Cazadors Hand glitt zwischen den Gitterstäben hindurch; er hielt ihr eine Hälfte der entzweigeschnittenen Frucht hin. »Esst. Ich schwöre Euch, dass ich nichts damit angestellt habe.«
Falkins Zehen waren kalt. Sie sah hinunter. Der Matsch war bereits dem Wasser gewichen, das ausreichte, um ihr durch die Stiefelriemen zu sickern. Sie seufzte. Kaltes Wasser, Hunger und jetzt auch noch ein Bewacher, der sie mit Essen neckte, das vergiftet sein mochte. »Das wird ja immer besser«, knurrte sie.
»Tja, wenn es kein Essen ist, das Ihr wollt, was wollt Ihr dann? Ich wage eine Vermutung«, fuhr er fort. »Ich nehme an, Ihr wollt aus dem Loch heraus, in dem Ihr steckt.«
»Wie habe ich mich verraten?«, fragte sie; ihre Stimme triefte vor Gift.
Leise lachte er. »Ich bin einfach schlau.« Er warf ihr das Sahnefruchtstück zu, das sie trotz ihres Verdachts auffing. Es roch so wunderbar, süß und frisch wie der Frühling. Sie seufzte, drehte die Hand um und ließ die Sahnefrucht ins dunkle Wasser unter sich fallen.
»Wie Ihr wollt.« Er nahm einen weiteren Bissen von seiner Hälfte und kaute laut.
»Geht weg«, sagte sie.
»Das habe ich auch vor. Sobald Eure Füße bedeckt sind.«
»Wenn man aus dieser Zelle nicht ausbrechen kann, warum macht Ihr Euch dann die Mühe zu warten?«
»Das ist die übliche Vorgehensweise. Dass Ihr ein bisschen Wind habt aufkommen lassen, sagt mir noch nicht, wie mächtig Ihr seid. Wenn ich zu früh gehe, könntet Ihr entkommen. Dann würde ich nicht bezahlt werden.«
Falkin stampfte mit dem Fuß auf und bespritzte ihre Kniehose mit schlammigem Wasser. »Ich zahle Euch den doppelten Lohn, wenn Ihr mich aus diesem verflixten Loch lasst.«
»Spritzt Ihr schon? Klingt, als wäre es für mich an der Zeit zu gehen.« Er stand auf und schlang sich den Taschenriemen über die Schulter. Das Logbuch lag noch immer auf dem Boden zu seinen Füßen. Er hob es auf und klemmte es sich unter den Arm. »Das kann ich nicht zurücklassen.«
»Warum nicht?«, fragte Falkin. »Wenn es doch so langweilig ist …«
»Ich habe das Gefühl, andere könnten es unterhaltsamer finden. Und weil Ihr es dringend genug haben möchtet, um damit aus einem Fenster zu springen, muss es sich doch lohnen, es zu behalten.« Er salutierte spöttisch, indem er zwei Finger an die Stirn führte. »Man sieht sich.«
Falkin sah ihn davonschlendern, so lässig, als kehre er von einem morgendlichen Spaziergang zurück. Sie musste einen Weg aus diesem Loch finden, bevor er weit kam. Oder
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