Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
aufzustehen.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Hast du mir ein Geschenk mitgebracht?«
Falkin stellte den Kasten auf dem polierten Tisch ab. »McAvery hatte das bei sich, als wir ihn eingeholt haben. Ich dachte, es könnte wichtig sein.« Sie zog den Dolch, schob die Spitze in den Spalt zwischen Kästchen und Deckel und zwängte ihn hoch. Er sprang mit einem Quietschen auf.
»Was ist darin? Noch mehr von der Schlacke, mit dem er den Hafenmeister hereingelegt hat?«
Falkin lachte. Sie griff in den Kasten und holte eine Pflanze in einem Porzellantopf daraus hervor. Die breiten, dunklen Blätter funkelten. Von einem mittleren Stiel gingen zwei kleinere Verzweigungen aus. Zwischen den beiden wölbte sich eine rundliche Masse unter der Oberfläche des Stiels.
»Hat wohl einen Kropf, was?«, kommentierte Shadd.
Sie berührte die Rundung mit der Fingerspitze. Sie war fest und ein ganz klein wenig warm. »Blutige Grace!«, sagte sie. »Sieh dir das nur an!« Sie hob die Pflanze hoch und stellte sie über den Fleck auf dem Tisch. Der Porzellantopf passte perfekt auf die Abmessungen des Flecks.
»Was um alles in der Welt … Er stiehlt uns das Schiff unter den Füßen weg, nimmt aber eine verdammte Pflanze als Erinnerung … mit?« Der große Kanonier drehte sich mit einem leisen Stöhnen im Bett um. »Wie sieht der Plan jetzt aus?«
»Wir nehmen Kurs auf Pecheta. Wir lauern der Sieg auf und tauschen unseren Gefangenen gegen Binns ein.«
»Meinst du denn, sie glauben uns? Geben uns einfach den Kapitän und lassen uns mit einem Schulterklopfen und herzlichem Dank weiterfahren?«
Falkin setzte sich hin und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Die Pflanze wirkte wie eine gewöhnliche Staude, abgesehen von der Schwellung in der Mitte. Sie sah aber … nicht krank aus. Nur irgendwie falsch. Nicht dass Falkin genug von Pflanzen verstanden hätte, um sich sicher zu sein …
»Nein«, sagte sie. »Ich bin sicher, dass sie Widerstand leisten werden. In dem Augenblick wird dieses Schiff hier nützlich sein. Die Sieg wird vor unseren Kanonen kapitulieren.« Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zog sich eine Haarlocke über die Schulter nach vorn. Sie teilte sie in drei Strähnen und begann zu flechten. »Und selbst, wenn sie das nicht tun – wir haben genug Feuerkraft, um sie zu zwingen.«
»Und was passiert, wenn wir versehentlich unseren eigenen Kapitän töten?«
Falkin ließ ihr Haar los und nahm in Kauf, dass der halbfertige Zopf sich wieder auflöste. »Das werden wir nicht.«
»Da kannst du dir nicht so sicher sein. Wie ich die Blauröcke kenne, kämpfen sie, bis ihr Schiff mit ihnen untergeht, und dann stehen wir auch nicht besser da als vorher.« Shadds Augen waren dunkel, und er riss den Mund zu einem gewaltigen Gähnen auf.
»Kann schon sein.« Was er sagte, beunruhigte sie mehr, als sie es ihn merken lassen wollte. Sie stand auf und ging zur Anrichte hinüber. Ein Dutzend kristallener Gläser waren vor der verspiegelten Rückwand neben der Rumkaraffe aufgereiht. Falkin zog den Verschluss heraus und sog tief und prüfend den Duft des guten Rums in der Karaffe ein. »Willst du was trinken?«
»Danke, aber ich glaube, die Kräuter wirken langsam, Kin. Ich fühl mich so richtig benebelt.« Binnen Sekunden schnarchte er sanft.
Falkin schenkte sich ein Glas ein und nahm einen Schluck. Guter Stoff, in der Tat. Der letzte Kapitän hatte einen hervorragenden Geschmack gehabt. Nicht dass sie das nicht schon angesichts seines Quartiers hätte erraten können. Es war wirklich ein wunderbares Zimmer, jetzt, da sie die Zeit hatte, es ausführlich zu betrachten. Licht strömte durch die breiten Fenster mit den vielen Scheiben bis zur Rückwand. Die Bücherregale waren mit ledergebundenen Bänden unterschiedlicher Dicke und Höhe geradezu überladen. Falkin fuhr mit dem Finger darüber und las die faszinierenden Titel. Vor langer Zeit hatte ihre Mutter ihr vorgelesen, und Falkin hatte sich seitdem ihre Liebe zu Büchern bewahrt. Diese hier waren gut gepflegt; jedes sah so neu wie das nächste aus. Sehr anders als der abgenutzte, wasserfleckige Rücken von Binns’ Logbuch.
Sie hatte versprochen, es nicht zu lesen. Aber sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, woher McAvery überhaupt wusste, dass es existierte. Natürlich, zu diesem Zeitpunkt hatte er sein Bestes getan zu verhindern, in Ketten gelegt zu werden. Also hätte er sicher alles Mögliche gesagt …
Aber es musste einen Grund geben, dass er das Buch
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