Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
dahinter. – »Siehst du,« sagte Marlies und riß die Tür auf – »da liegen sie, dumm und stumm.« Ich blickte hinein: Wahrhaftig, unter den funkelnden Kronleuchtern lag die ganze Gesellschaft wirr aufgeschichtet, genau so, wie sie herabgefallen war. Großes Schweigen schwoll mir entgegen; alles erschien mir sinnlos. Ich bebte und klammerte mich an Marlies.
»Marlies,« ächzte ich – »erklär mir das! – Was soll das bedeuten!«
Sie küßte mich; der Kuß bedrängte mich wie Atemnot.
»Das bedeutet, daß wir . . . daß jeder von uns furchtbar allein ist.«
Wir gingen wieder hinauf, in den »Teesalon«.
»Was du zu hören glaubtest,« fuhr sie fort (und machte es sich, das überlange Nachthemd bequem bis zu den Knien schürzend, auf dem verschnörkelten Sofa gemütlich) . . . »war nichts als schales Echo des ›Lebens‹, sein ganzer Inhalt, auf ein paar dumme Formeln gebracht . . . Auch wir haben uns wie rädertretende Eichhörnchen in unserm Gefängnis herumgedreht und nannten's ›Welt‹ . . . Mit den gleichen Phrasen haben wir uns gegenseitig gefüttert, und nannten's ›Unterhaltung‹ . . . Ach, Mark, dies alles ist ein Sinnbild; deshalb bat ich dich, mich hier zu treffen.«
». . . Spiegel im dunklen Wort . . .« stammelte ich. – Kaum wunderte ich mich über die alterslose Sprache meiner Marlies. Sie lag, die Hände im Nacken verschränkt, wie in der Sterbestunde. Unverhältnismäßig große Glühbirnen erfüllten diesen Raum (wie auch den Saal unter uns) mit kalkig-schattenlosem Licht. Sie starrte abwesend in die Vergoldung der Rokokosesselchen, der befransten Damastvorhänge, des hunderterlei aufgestellten oder wirr getürmten Puppenporzellans . . .
». . . dann aber von Angesicht zu Angesicht.« – Draußen kreiste ein ungeheurer Wirbel von Schwärze: – das absolute Nichts. Man hörte es rauschen wie einen fernen Strom.
»Schau nie aus den Fenstern!« sprach Marlies. »Laß die Vorhänge gut zu; sonst wirst du hinausgesogen. Ich kann's vertragen, mein Freund; du aber hast auf deinen Körper Rücksicht zu nehmen! Den gibt es nämlich noch dort draußen. Der lauert auf dich.« Sie lächelte etwas mokant. »Der atmet und verdaut dort . . . Er braucht dich noch dringend. Vergiß nicht, daß der Uebergang dir noch bevorsteht; was du jetzt machst, ist eine kleine fliegende Visite . . .«
»Aber ich möchte immer mit dir vereinigt sein! Bleiben wir doch zusammen!«
»Wer, glaubst du,« sagte sie auf einmal und sah mich mit veränderten Augen an, in denen ich kaum die Pupillen entdeckte, – »ermöglichte mir meine jetzige Existenz?«
»Der liebe Gott . . . Oder ein großes unveränderliches Gesetz.«
»Nichts dergleichen, Mark. – Du!! «
»Durch meine Liebe? Meine Sehnsucht nach dir?«
»Ausschließlich nur durch deine Liebe. Sonst wäre ich nicht! Also bist du eigentlich meine Daseinsquelle . . . Mein zweifacher Erzeuger.«
»Und Du existierst nur, wenn ich im Fleische bleibe?«
»Ja, mein Liebster. Denn ich nehme ja alles, auch meine jetzige Form, meine Sichtbarkeit, von dir. Ich baue mich buchstäblich auf aus dir; ich sauge an dir . . . Spürst du's nicht?«
Ich ward mir einer grenzenlosen abstrakt wollüstigen Schwäche bewußt.
»Siehst du: die ›andere‹ –« (sie sprach das Wort Mutter nie aus) – »hast du auch zuerst mit deinem Blut genährt; da blieb sie noch eine Zeitlang lebendig nach ihrem Übergang. Dann aber hast du sie allmählich vergessen – um meinetwillen. Mich aber kannst Du nicht vergessen; es kommt ja niemand nach mir, der mich ersetzt. Und ich habe keine Lust, das Schicksal der ersten zu teilen. Sie treibt jetzt nur als schwachleuchtende Blase umher mit halbzerstörtem Profil . . . Ich will nicht untergehen wie die meisten nach kurzem Scheinleben als zerbröckelnde Larve; ich will nicht!«
»Du sollst auch weiterbestehen! Nähre dich von mir . . . Nimm von mir, so viel du willst!« Ich spürte das große Mitleid meines kürzlichen Traumes, wo ich sie in jener Halle im Walde fand, verscheucht, hilflos und . . . besessen . . .
»O Mark!« sang sie und beugte sich vor (ihr Blick war wie blind). »Wie mußt du mich lieben! Merke wohl: Durch dich lebe ich und durch dich vergehe ich. Ich will dir immer nahe bleiben . . .«
»Und werde ich dich stündlich um mich spüren?«
»Tagsüber nicht, Mark; denn tagsüber – (hier verstummte sie; dann sang sie einen leisen Refrain):
». . . wandeln alle Toten
nur auf
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