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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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geschäftsmäßig, als sei sie in Eile, auf mich los und setzte sich mir kameradschaftlich auf den Schoß. – »Nun?« fragte sie und blickte mir gespannt ins Gesicht: – »hab' ich Wort gehalten?«
    Sie war wie immer – nur hatte ihre Stimme einen anderen Klang und etwas wie unendliche Erfahrung leuchtete aus ihren Augen. Sie war kein Kind mehr; sie war immer alt gewesen; sie war uralt; trotz der kurzen Gastrolle »im Fleische« . . . Mein eigenes bisheriges Leben kam mir jetzt so vor wie eine verschollene Viertelstunde in unwürdigem Käfig voll verworrener Unlust, für die es keinen Begriff mehr gab . . . Deshalb erwiderte ich mit großer Selbstverständlichkeit:
    »Das gehört sich auch so.«
    »Anfangs« – fuhr sie fort und löste sich von meinen Knien – »haben sie mir ja Spaß gemacht.« – Sie blickte die Reihe der Puppengesichter entlang. – »Jetzt aber hab' ich schon den Geschmack verloren an diesem Teebesuch. Es ist eine Ewige Teegesellschaft, da hast du recht; was soll ihnen schon viel Neues einfallen. Und damit hab' ich mich zufrieden geben müssen – bisher.«
    Ich zerbrach mir den Kopf, warum sie »bisher« sagte; wie lang war es denn schon her? Es war doch erst vor kurzem gewesen, daß sie . . . Nun, es herrschte eben eine andere Zeitrechnung hier. – Es mußte ja auch das veränderte »Format« ringsumher in Betracht gezogen werden . . . Deshalb war ich nicht indiskret genug, um Fragen zu stellen. Marlies mußte ja wissen, wie sie sich auszudrücken hatte.
    »Jetzt komm' und hilf mir; wir wollen sie in Gang bringen! – Vielleicht finden wir noch eine neue Nuance!« Sie sprach geziert und altklug. – (›Kunststück‹, dachte ich, ›altklug zu sein unter diesen Umständen . . .‹) – Wir standen auf. Marlies ging auf nackten Sohlen im raschelnden fußlangen Hemd. Das Sterbekleid! Der Duft faulender Astern drang aus ihrem Körper. Sie hatte eine vertrackte Art, auf den vorderen Fußballen zu trippeln, und das Hemd gab nicht die Formen ihres jungen Leibes wieder, sondern fiel andauernd in steifen Falten herab. Zuweilen, wenn sie kniete oder stieg, knisterte es elektrisch in diesen Falten; auch drangen, berührte ich sie, Ströme in meinen Körper gleich sanften Nadelstichen. Sie aber tat, als sei das die natürlichste Sache von der Welt. –
    Mit dem General fingen wir an; es war keine leichte Arbeit. Der Uhrenschlüssel wurde bei ihm, wie bei allen, in der Nabelgegend angesetzt; wir drehten gemeinsam. Das frühere leichte Zirpen erschien jetzt als großes Gerassel und Geknarz. Als wir mit der ganzen Runde fertig waren, sagte Marlies: »Puh! – Ich bin froh, daß ich's geschafft habe. Man wird nicht kräftiger in meiner Situation, Mark. – Nun drück' ihnen fest auf die Scheitelknöpfe, und dann nimm mich auf den Schoß. Es verlohnt sich; du wirst lachen müssen. Erschrick nicht über den Spektakel!«
    Während ich die Federn auslöste, da ging es – das kann ich Ihnen sagen – zu wie in einem Tollhaus. Ein solch viehisches Geplärr stereotyper Redensarten hab' ich meiner Lebtag nicht gehört. Doppelt unheimlich war dabei dies gespenstische Auf- und Niederwogen von Gliedmaßen; dies Schnurren und Gerassel; – hier hoben sich Arme wie Mühlenflügel, dort ruderte ein Beinpaar. Zwei ganze Oberkörper wippten, und von überall her trafen mich rotierende Blicke, leer, erbost, schelmisch und tückisch aus lackierten Zügen. Jeder schien vom Ehrgeiz besessen, den anderen zu überschreien. Im vornherein war mir klar, daß die entfesselten Gewalten dieser wüsten Geselligkeit auf eine Katastrophe zusteuern mußten. Marlies schien es ja auch darauf anzulegen, daß man sich in »die Haare geriet«. Sie lachte dabei wie gequält; ich sah ihr perlweißes Gesicht auf und niedertanzen. Der Tisch schwankte; das Geschirr klirrte. Plötzlich fiel auch hinter mir – (als stehe das im Programm!) – der Diener um und röchelte, halb unter dem Tisch, sein fürchterliches: »Tee gefällig? Tee gefällig?« Mir war's, als müsse mein Kopf bersten. »Um Gotteswillen!« schrie ich. »Bring' sie zum Schweigen!«
    Marlies stahl sich wieder zu mir heran.
    »Liebling,« sprach sie dicht an meinem Ohr – darum verstand ich sie –; »Du weißt doch: es dauert drei Minuten . . .«
    »Aber die sind längst um!«
    »Daß du dich ja nicht verrechnest!« sagte sie voll Schadenfreude. »Hast du nicht selbst den Ausdruck geprägt von der ›Ewigen Teegesellschaft‹?«
    »Mag sein . . . Aber

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