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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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was Sie so treib'n. Und da hab' ich mir oft gedacht, daß Ihnen ein wenig Auffrischung nicht schaden möcht' . . . Wissen S', den Spruch vom ›Kaiser Koarl‹, wie schön Sie den rausbringen können? – Und das ›Staatsschiff, das kenterte‹?« – Sie bog sich vor Vergnügen. »Was hab' ich da schon g'lacht hinterm Fazinettl, aber Sie ham nie was gemerkt . . .«
    Eine ungeheure Ahnung dämmerte, trotz seines Schwipses, in Herrn Perlafinger auf. »Dann sind Sie . . .« verlangte er in aufgeregten Tönen zu wissen: – »niemand anderes, als die Ilonka?? «
    »Ganz dieselbe noch«, bestätigte sie mütterlich. »Verwitwete Z– – –z . . .« (Hier sprach sie einen Namen aus, der keinen Vokal hatte, an den man sich klammern konnte.) »Freut Sie das? Es gab zwar amal eine Zeit, da ham Sie die Nas'n ganz abscheulich in d' Luft gesteckt . . . Ich war ung'schickt, weil ich doch damals zum erstenmal – sozusag'n – entblättert wor'n bin. Das hängt ei'm nach. – Und Sie war'n so ein stattlicher Mensch und genau wie die Majestät. – Ich war an dumm's Mädel und hab' den . . . (hier folgte wieder der unaussprechliche Name wie behindertes Schneuzen) – heiraten müss'n aus lauter Verzweiflung – Gott hab'n selig; er hat nichts entbehr'n müss'n. Und an Hallodri war's auch. –«
    Wieder tupfte sie die Augen. –
    »Und jetzt wer'n Sie begreifen, daß ich mich hab' müssen gekränkt fühl'n, wenn Sie mich mit der Baker vergleichen; mit dem afrikanischen Mensch. – Desweg'n bin i gleich wegg'laufen vom Tisch.« Sie trällerte und trommelte mit den Fingern.
     
    Die Kapelle summte. Die Peperl saß in der Mitte des Saales, die Beine parallel von sich gestreckt, und sang mit einer gläsernen Stimme ein Lied vom Heimweh. So ein Negerheimweh kennt keine Gnade; unwiderstehlich wirkt es auf die Tränendrüsen.
    Irgendwo im Süden, so sang die Peperl, in Louisiana oder in Alabama, wartet eine Mutter auf ihren Sohn; sie wartet, wartet, wartet! Man hatte das Gefühl, daß diese Mutter so lange warten müsse, bis sie schwarz werde; ein schwacher Trost in all dem Leid war es vielleicht dabei, daß sie das letztere nicht mehr nötig hatte.
    Die Peperl schaute sich gar nicht im Saale um, sie war jetzt müd' und sanft und klein. Sie sang noch einen kleinen Schlummersong für ein farbiges Baby; immer leiser sang sie, und dann schlief sie mimisch ein. Wie eine geknickte Orchidee – – mitten auf dem Parkett.
    Perlafinger beschäftigte sich indessen schon geraume Zeit mit einem weißen Arm, der ihm willig überlassen wurde.
    Ilonka drehte sich um und warf den Befehl über die Schulter:
    »Ober! – Noch a Flaschen. – – Auf mein Konto.«
     
    Und so war denn die ganze Angelegenheit mit dem Versäumnis Herrn Perlafingers endgültig ins Reine gebracht. –
     
Zweites Bild
Die »Lebende Blume«
    Die Athletin Barbara saß vor dem Spiegel in der Artistengarderobe und rasierte sich mit einem Schabapparat ohne viel Genuß die Achselhöhlen aus.
    Als sie fertig war, trug sie viel Puder auf; sie hatte trotz ihres trainierten Körpers eine zarte Haut und neigte in diesem Punkt zur Empfindlichkeit. Sie beschäftigte sich gerade damit, ihre kurze Zottelfrisur unter eine dralle rotseidene Haube zu bringen, die mit der Farbe ihres Trikots harmonierte, als sie durch Vermittlung des Spiegels bemerkte, daß der kleine Niklas sich hereingeschlichen hatte. Er saß in der dunklen Ecke und betrachtete sie von dort mit seinen unheimlichen Augen.
    Die Athletin Barbara beschloß, seine Anwesenheit nicht zu bemerken und sich blind zu stellen. Sie zupfte mit trägen Bewegungen an sich herum; trug hier noch Puder auf, dort noch etwas Schwarz unter die hellblauen Augen. Das hob die ausgewaschene Farbe dieser Augen und gab ihnen die sinnliche Nuance, die zu ihren Muskeln so pikant wirkte.
    Sie saß, in ihren Stuhl gezwängt, wie eine grübelnde Löwin. Bei jeder Dehnung ihrer kolossalen Schenkel knackten die Seitenlehnen. Wenn sie nach einem Farbstift oder einem Kämmchen griff, so war es, als angele ein Löschkran nach einer Sardinenbüchse. An ihrem Mund – (einem Kindermund mit trotziger Unterlippe) – lauerte ein Lächeln; sie war mit sich zufrieden . . . Wie sie zu diesem Körper kam, war ihr selber rätselhaft, da eine ziemlich durchschnittliche Seele darin steckte, die durchschnittliche Bedürfnisse kannte; nie wäre sie von selbst auf diese Laufbahn geraten: Not, ein entschlossener Vater, die Familientradition hatten

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