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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Zimmer, nahm im Korridor sein Handköfferchen und begab sich in die Küche. Die Türen standen offen. Vom Wohnzimmer kam ihr erlöster Atem herübergeklungen, als schliefe sie schon.
    An dem Abwaschbecken spülte er die Morphiumspritze mit destilliertem Wasser und feilte darauf einer Ampulle den Hals ab. Er sog den Inhalt in die Spritze; sie war zu einem Viertel gefüllt. Das war die übliche, die Minimaldosis.
    Während er hantierte, traten Schweißtropfen auf seine Stirn. Die Schachtel mit den zurückgelassenen fünf Ampullen lag offen da. Sie waren so hübsch symmetrisch aufgebahrt, jede in ihrem Kartonkäfterchen.
    Die Birne an der Decke warf ihr kalkweißes Licht darauf. Er blickte sich mit krauser Nase um; die Türen standen offen! Er drehte den Wasserhahn an, und während des Plätscherns köpfte und leerte er mit mechanischen Bewegungen auch diese übrigen Ampullen. Sie waren so einladend. Sein Gesicht war grau. Einen Moment noch zögerte er; dann drehte er das Plätschern ab und verließ die Küche.
    Der nackte Arm, der wie Elfenbein glänzte, lag dort auf der Daunendecke.
    »So, Tantchen,« sagte er in sonorem Baß und beugte sich über sie, »nun bringe ich dir eine gute Portion Schlaf . . .«
    Sie drehte langsam das Gesicht von der Tapete weg zu ihm hinüber. Offenbar hatte sie halb geträumt, während er draußen beschäftigt war. In der Zerstreutheit des Alters glitten ihre Augen von seinem Gesicht auf seine Brust. Plötzlich sagte sie mit einem naiven, fernen Lächeln: »Na, ich sehe, du hast es immer noch nicht gelernt, Ernst, dir deine Krawatte richtig zu binden.«
    Er reckte sich langsam auf. Er starrte sie an.
    »Meine Krawatte . . . richtig . . . zu . . . binden?« stammelte er. »Wie kommst du jetzt gerade auf diesen  . . . Einfall?«
    »Ich sehe dich ganz aus der Nähe. Es fällt mir ein, daß deine Mutter immer an deiner Krawatte gemäkelt hat. Du warst eben ein Jung'. Einmal hast du dich darüber beklagt. Aber gelernt hast du es immer noch nicht. Komm' mal heran. Der Knoten muß fester sitzen, siehst du. So.«
    Ihre Hände hatten sich ausgestreckt und an ihm genestelt. Mit einem merkwürdig erstickten Laut fuhr er zurück. Die Spritze entfiel seiner Hand und rollte unter den Stuhl.
    »Was hast du denn?« fragte die Alte und wurde flugs wieder kritisch. »Bist du immer noch so nervös in diesem Punkt? Na, sorg' du selbst für deine Toilette, alt genug bist du ja. – – – Nun aber mach' schnell. Ich werde schon nicht viel spüren auf meinem alten Fell.«
    Sie streckte ihm einladend den Arm hin.
    Er saß wieder halb im Dunkeln auf dem Stuhl. Er atmete schwer, als er sich bückte und das Instrument vom Boden hob. Dann trug er es unter die Lampe und betrachtete es.
    »Entschuldige,« sagte er mühsam, »ich bin doch verdammt ungeschickt. Ich muß eine andere Hohlnadel nehmen; diese ist zerbrochen.«
    Er ging in die Küche zurück. –
    Als er zurückkam, irrten seine Augen beim Eintritt ins Zimmer ab und fanden das Bild seiner Mutter an der Wand: ein Bild mit ganz verschwommenen Zügen.
     
Sechstes Bild
Psyche und der Tod
    Es war die Zeit des großen Cholerasterbens in Hamburg.
    Vor der Einäscherung sollte in einem wohlhabenden Hause eine Einsegnung vorgenommen werden. Der offene Sarg stand in der Glasveranda unter den Blattpflanzen. Es roch nach Erde. Die Kranzblüten gaben letzten, durchdringenden Duft von sich. Durch die Glastür zum Garten loderte ein Übermaß von blauer Glut; – über den Rotbuchen an der Alster quoll eine Wetterwolke herauf mit scharfen Rändern. Sie wuchs erschreckend still.
    Das Dutzend versammelter Menschen atmete hörbar. Der sechsjährige Jan Gustav, aus zartem Wachs, lag sehr still; sein farbloser Mund stand halb geöffnet. Auf der Brust umklammerte er, im Eigensinn des Todes, ein großes Bündel weißer Schwertlilien.
    Senator Arensen tat einen haltlosen Schritt, dann fand er seine steife Haltung wieder. Seine hochgewachsene Frau griff zu und stützte ihn; auch sie trug einen mehr strengen als leidgebeugten Ausdruck zur Schau. So hatte sie keinen Blick zu verschenken an Ulrike, die man im Hause Uli nannte – ein siebzehnjähriges, aschblondes Mädchen, dem Bruder aus dem Gesicht geschnitten, schlank und blutarm. Diese lehnte an der Glastür. Die blaugeäderten, feinen Hände preßten das Taschentuch vor den Mund und zuckten.
    Sie hatte die Nacht über geweint; der Schmerz malte einen haarfeinen, roten Ring um ihre Lider.
    Mit bebenden Knien stand sie

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