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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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verblichen. Nur ganz schemenhaft glänzte noch einmal die silberne Vision jener ersten Nacht vor seinem inneren Blicke auf im Purpur seiner geschlossenen Lider und hinterließ eine vage Wohltat, so als habe er sein fieberndes Herz in Gletschereis betten dürfen und es schlage wieder voll, krampffrei und ruhig.
    Er ging seinen kleinen Beschäftigungen nach wie sonst, und die Eltern erstaunten schier ob seiner plötzlichen Gesundung. Seine Wangen waren wieder rot und sein Auge hell. Man mußte sogar seinem Drängen nach Arbeit nachgeben, da er, wie er behauptete, nicht ohne geistige Beschäftigung diese Tage verbringen könne. Die Warnung des Arztes sei gut gemeint gewesen; aber er wisse selber am besten, was ihm fromme.
    So ließ man ihn gewähren, und der Hauslehrer, in rücksichtsvoller Weise, trat wieder in seine Rechte ein.

Begegnung
    Eines Morgens erhob er sich zeitiger als sonst. Es war ein rechter Gottesmorgen im August.
    Die Schwalben schrillten um den Turm, und glühendes Sonnenlicht vernichtete alle Schatten. Da kam es Harald in den Sinn, vor dem Frühstück ein wenig zu wandern. Er ging die holprige Gasse hinunter; die Läden waren noch geschlossen. Es verlangte ihn nach Weite.
    Woher kam dieser sanfte Antrieb, der ihn so unwiderstehlich aus der Stadt hinauszog, seinen sonstigen Gewohnheiten ganz entgegen? Er wußte es nicht. Aber er überließ sich einer leisen, schier wollüstigen Bangnis von Erwartung.
    Er hatte das Stadttor schon passiert, als ihm plötzlich zum Bewußtsein kam, daß ihm ein Geräusch, das ihn nur ein Echo der eigenen Schritte in den Gassen gedünkt, noch immer nachfolgte. Er erkannte, daß dies die Schritte eines Zweiten waren, der in einiger Entfernung hinter ihm ging.
    Er war ein Stückchen ins Feld gelangt, ehe er den Mut fand, sich umzublicken. Er wußte mit Klarheit, daß ein Vorhang jetzt fallen werde, wenn er es tue.
    Brüsk drehte er sich um, und im selben Moment stand ein großer Mann still, der etwa in der Entfernung von hundert Meter hinter ihm hergegangen war. Der Mann, hoch aufgeschossen, schmalschultrig, trug einen hellgrauen Sommeranzug mit Strohhut. Es schien, als ob Haralds Stillstehen und das seine keine Beziehung hätten; er trat ein Stückchen ins Feld hinein, wo er sich bückte, so daß ihn die Ähren fast verschlangen – sich dann wieder aufrichtete und mit stelzenden Schritten näherkam. Harald versuchte, ihn innerlich abzutun als einen Spaziergänger gleich ihm selbst und ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Er blieb lautlos hinter ihm; und so merkte er nicht, daß die Entfernung von dem Manne zusehends schrumpfte. Ja, der Mann trat leise auf und tat trotz ruhiger Gangart riesige Schritte, so als habe er die Absicht, Harald zu überholen.
    Mit einem Male wußte der Junge so genau, als ob er Augen auf dem Rücken trage: Der Mann will etwas von mir. – Was in aller Welt sollte er sonst wollen? Ist er mir nicht nachgefolgt? Wählte er nicht denselben selten begangenen Feldweg?
    Die Überzeugung wuchs, und gleichzeitig trat er, wiewohl er dagegen kämpfte, wiederum über die Schwelle jenes Zustandes, den er überwunden glaubte. Das Pfaffenwäldchen schien in entlegene Ferne gerückt; gleichwohl malte sich jeder Wipfel klar auf dem Westhimmel auf. Die Felder spreizten sich zu Wüsten, an deren fernstem Horizont die Pappelschnur der Überlandstraße einen Rand gegen die Luft schuf. Dort fuhr ein Wagen gemächlich die Allee herab und erzeugte eine leichte Staubschleppe hinter sich. Jetzt auf einmal tönte ein leises Rascheln, und die Allee ihrer ganzen Länge nach schien von einer einzigen Staubfahne bedeckt, als sei sie aufgewühlt von der Peitsche einer kopflosen Flucht . . . Dort gehen Pferde durch, dachte Harald. Aber die Schnelligkeit jener Pferde hatte etwas Gespenstisches. Er fühlte Hitze auf seinem Scheitel und blickte empor. Die Sonne flammte senkrecht über ihm. Wachsende Angst würgte ihn. Um Gottes willen, war es nicht gerade erst noch frühester Morgen gewesen, als er aufbrach?! Was wird nur daraus! dachte er wirr und betäubt; vor Ratlosigkeit halb entseelt, brach er in die Knie. Auf einmal sprach eine ruhige, leise Stimme neben ihm von einem etwas öligen Wohlklang: »Ist Ihnen nicht ganz wohl? Kann ich Ihnen zu Diensten sein?«
    Harald sprang auf und sah den Mann neben sich stehen. Im ersten Augenblicke war er so verblüfft, daß seine ganze Erschütterung wie weggeblasen war. Denn was da vor ihm stand und ihn, die wachsfarbenen

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