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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Schillerndes; sie wedelten nie, diese Hunde. – Es war eigentümlich, so versicherten müßige Spaziergänger, mit welcher Nonchalance Herr Sze mit den Bestien umsprang; wie bedingungslos sie selbst kleinen, kaum wahrnehmbaren Gesten parierten, die er nebenhin vollführte; oder wie sie sich duckten, wenn er ihnen einen Schwall nie gehörter Silben entgegenschleuderte, bunter Silben, die wie Magie wirkten.
    Harald hörte alle diese Gerüchte mit jenem Gefühl, das Kinder in Erwartung einer kommenden Weihnachtsbescherung haben, und je näher der Zeitpunkt rückte, wo er Grund zu haben glaubte, von seinem seltsamen Freunde zu hören, desto lebhafter und aufgeweckter erschien er im Familienkreis. Die Eltern wunderten sich fast darüber, und wenn sie sich ihrer Liebe zu diesem prächtigen Jungen auch nicht immer bewußt gewesen, so empfanden sie doch jetzt diesen fröhlichen Geist im Hause mit verstärkter Zärtlichkeit. Der alte Freiherr zog ihn öfter als sonst ins Vertrauen, machte Pläne mit ihm, schwor ihm zu, es in seiner künftigen Ausbildung an nichts fehlen zu lassen – wenn Gott ihm das Leben schenke.
    »Vater,« rief Harald, »du wirst ur alt.«
    »Wenn wir zusammenbleiben, vielleicht. Denn zum Teufel, du hast etwas Ansteckendes. Ich vergesse schon schier meine Gicht, wenn du dabei bist.« Und der alte Mann, seine unmilitärische Befangenheit mit rasselndem Lachen bemäntelnd, schlug ihm mit der unsteten Hand derb auf die junge Schulter.
    Es war Harald noch nie ins Bewußtsein gekommen, wie wohl es tut, achtzehn Jahre zu zählen. Er bereitete sich auf das Abenteuer, das seiner harrte und das er sich keineswegs als schlimm oder schwierig vorstellte, zwischendurch mit leisem Gruseln vor. Seltsamerweise kam ihm nie der Gedanke an eine wirkliche Gefahr. Wo wäre die auch zu erblicken gewesen? Und wenn es dazu kommen sollte, daß jener etwas Fragwürdiges mit ihm im Schilde führe, so brauchte er sich bloß zu betrachten, um eine kühle Sicherheit zu finden. Er war über sein Alter hinaus kräftig. Unablässige Muskelbewegung hatte seinen Körper gestählt.
    Doch bald fand er den Gedanken lächerlich; denn gleichzeitig kam ihn eine knabenhafte Scheu an: der Respekt bloßer Jugend vor dem Hirn . Ein verdammt kluger Bursche muß er doch sein, sonst hätte er mich damals nicht so zum Schwatzen gebracht, sinnierte er. Für mich als – sagen wir – künftigen Diplomaten ist es vielleicht eine gute Schule, schon jetzt mit solchen Herren umgehen zu lernen und hinter ihre Verschmitztheiten zu kommen. Warten wir es ab.
     
    Es war im März und warm.
    Die Äcker waren noch brüchig und braun.
    Der Föhn brauste im Pfaffenwäldchen und bewegte die Zweige, die von Keimen strotzten.
    Die Telegraphenstangen orgelten, und nächtens schwangen die Bogenlampen hin und her und erzeugten gespenstische Wettrennen von Schatten auf der Gasse, an der Harald wohnte.
    Er saß eines Nachts am Fenster.
    Ein halber Mond blickte durch hastende Wolken.
    Er hörte das unablässige Brausen des Windes, der sich stöhnend um die Ecke drängte und, wo er eine Freistatt fand, sich dröhnend entfaltete. Das Geräusch in den Kaminen ringsum gemahnte an fernes Stimmkonzert von Kindern, die um Hilfe schreien. Das Fenster klirrte so heftig, daß Harald die Lampe löschte und es öffnete. Eine feuchtwarme, riesige Hand griff ins Zimmer und verrückte die Gegenstände, wühlte in seinem Haar und umhüllte seine Brust.
    Aus der unendlichen Verschiedenheit der Laute konnte er keinen bestimmten herausheben. Nur auf einmal war es ihm, wie wenn während einer kurzen Sturmpause oder gleichsam unter dem Sturme ein Klang von der Gasse heraufwehe, der mit seinem Namen verwandt schien.
    Jetzt hörte er es noch einmal ganz deutlich, das Wort »Harald«.
    Er beugte sich mit geknicktem Leib aus dem Fenster und spähte hinab.
    Da sah er einen Schatten drunten stehen. Es war ein Mann, in einen Ulster gehüllt, der sich im Winde blähte und seinem Träger die verschiedensten grotesken Formen gab. Auf einmal erglühte etwas am Gesicht des Mannes, ein elektrisches Lämpchen, und beleuchtete die Züge Dr. Szes. Es war ein kurzes Aufblitzen, doch es genügte für Harald, um das große gelbe Gesicht zu erkennen. Kurz darauf hörte er eine Stimme, die ihm zurief leise, dringend und doch deutlich: »Heute nachmittag drei Uhr!«
    Der Sturm wälzte gleich darauf eine Brandung von Geräuschen herzu. Ein Barbierschild rasselte klirrend auf die Straße herab. Irgendwo polterte ein

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