Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
das Laboratorium hindurch geleitete er den jungen Bekannten, dann schlug er eine blauseidene, mit goldenen Drachen bestickte Portiere zurück, und man war in einem sehr einfach ausgestatteten Gemach, worin sich nur ein großer grasgrüner Teppich mit antiker Ornamentierung und wenige geschnitzte Taburetts befanden. Eine Unmenge von Kissen war am Boden verstreut.
»Gedulden Sie sich gütigst einen kleinen Moment«, sagte Dr. Sze.
Harald setzte sich resolut auf eines der Kissen, und es dauerte keine fünf Minuten, bis der Wirt mit einer lackierten Tragplatte erschien, auf der sich ein blauweißes, sehr schmuckloses Teeservice befand ohne Zucker und Milch; zwei henkellose Täßchen ohne Untersatz und eine Kanne.
Grünlicher Tee ward ausgeschenkt. Harald verbrannte sich fast die Finger, als er die Tasse mit der Faust umschloß, und Dr. Sze lächelte und sagte: »Es ist die Art, Tee zu genießen. Außerdem verbrenne ich mich nie; denn meine Hände sind sehr kühl.« Ja, es schien ihm noch daran gelegen zu sein, sie zu wärmen; denn er hielt die Tasse volle fünf Minuten lang mit beiden Händen umschlungen, ohne eine Miene zu verziehen.
Als die ersten Täßchen geleert waren und eine wohltätige Wärme in Haralds Magen entstanden war, verschwand der Doktor wieder und kehrte nach einiger Zeit zurück. Er war nicht der unauffällig-elegante Europäer mehr; er trug jetzt ein hemdartig geschnittenes Gewand aus schwarzer Seide, über der Brust farbig bestickt; und statt in filzbesohlten Schuhen staken seine lautlosen Füße in flachen Sandalen. Die Ärmel des Gewandes waren weit und hingen ihm in Ruhe bis zu den Fingernägeln herab. Sein Haar war mit einer schwarzen Tuchkappe eng an den Kopf gepreßt. Er brachte ein zweites, genau so geschnittenes Gewand mit, das er vor Harald hinlegte.
»Sie sind ganz durchnäßt, wie ich bemerke«, sagte er vertraulich. »Es ist hier gut geheizt, und es ist besser, Sie ziehen sich um, damit man Ihre Sachen trocknen kann.«
Während Harald dies tat, beobachtete ihn der Doktor aus halbgeschlossenen Lidern, wobei seine Nüstern leise vibrierten. Das Gewand paßte dem Jungen wie angegossen, ebenso die Sandalen, und der Doktor trug die Kleider hinaus. Kurz bevor er den Vorhang erreichte, tastete er das Ding ab, das sich in Haralds Hosentasche befand, und ein leiser Zischlaut kam aus seinem Mund.
Nach seiner Rückkunft tranken sie schweigend zwei weitere Täßchen leer. Der Doktor bot Zigaretten an. Sie waren dick und äußerst aromatisch mit fremdem Beigeschmack, der Harald nicht weiter störte und ihm äußerst »echt« vorkam. Er war jetzt mit der Zeit neugierig geworden, ob das zeremonielle Betragen des Gastgebers nun sein Ende erreicht habe und bat ihn in Gedanken, er möge zur Sache kommen, da es doch offenbar ein ganz bestimmter Zweck war, zu dem er geladen schien.
»Sie haben recht,« sagte Dr. Sze auf einmal, »ich komme jetzt zur Sache.«
Harald fuhr erschrocken zusammen. War dies Gedankenleserei? – oder Zufall?
»Was die da unfreiwillig entdeckt haben im letzten Sommer,« fuhr Dr. Sze fort, »es ist ein großer Meteorit . Sie werden mir es wohl nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich diesem Meteoriten schon einige Zeit auf der Spur bin. Er ist doppelt so groß als der ›Eiserne Berg‹ in der Melville-Bai, der, wie Ihnen bekannt sein dürfte, achtzehnhundertachtzehn gefallen ist, also erst ganz kürzlich, wenn ich so sagen darf . . . Derlei Neulinge sind gar nicht der Rede wert, denn aus Schriften, die ich kenne, stand es schon vor dreitausend Jahren fest, daß vor schon damals undenklichen Zeiten unser Besuch hier angekommen sei; und zwar deuteten gewisse Formeln jener uralten Schriften darauf hin, daß er irgendwo im Herzen des jetzigen Europa stecken müsse.
Ich bin vielleicht einer von dreien, denen es im Laufe von Jahrhunderten gegeben war, diese Schriften überhaupt zu entziffern; sicherlich aber der einzige, der die Berechnungen deuten konnte. Und daß ich nicht schlecht geraten habe, dafür zeugt ja meine Anwesenheit hier . . .
Mein junger Freund! Ich habe keine politische Mission. Meine Mission ist unendlich viel wichtiger. Augenblicksgeschäfte mache ich nicht. Um vor Neugier sicher zu sein, habe ich den Ort dieses Meteoriten abgegrenzt; denn man muß ihn studieren. Es ist wichtig, daß man sich näher mit ihm befaßt.
Sie werden verstehen, daß die Wissenschaft ein brennendes Interesse daran hat, und ich bin vielleicht eitel genug, mein alleiniges
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