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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ausgebleichten Ringes der längst vermoderten Pilze und stieg den Hügel hinunter. Unten bewegte er sich sehr schnell und hastig; mit vielen Zuckungen des Nackens nahm er Einzelheiten in sich auf. Es war so, als ob er das Maß nehme für irgend etwas, was Harald verborgen war. Er ging auch ganz um den Hügel herum, prüfte die Beschaffenheit des Bodens und erklärte sich endlich befriedigt.
    »So, und nun wollen wir uns mit Ihnen näher beschäftigen«, meinte er mit seinem stereotypen Lächeln. »Sie haben mir in dankenswerter Weise soviel Vertrauen geschenkt, daß ich dies auch erwidern muß. Ärzte für Ihre Halluzinationen gibt es nicht, aber ich kann Sie jetzt vorübergehend heilen, wenn Sie mir ein paar Tropfen Blut opfern. Diese Heilung ist keine vollständige, aber sie wird so lange andauern, bis Sie wieder von mir hören. Ich vermute, wir haben noch manches miteinander zu tun; denn eine Sache, deren Wichtigkeit Sie gar nicht ermessen können, bindet uns von jetzt ab aneinander.«
    Er zog ein seines Messerchen hervor und bat ihn:
    »Öffnen Sie das Hemd auf der Brust.«
    Harald tat es, und der Chinese machte einen leichten Schnitt in der Gegend des Herzens. In der anderen Hand hielt er plötzlich ein Platinbecherchen, wie es Chemiker zu benutzen pflegen, und preßte es an die Wunde, bis acht bis zehn große Tropfen Blutes es halb gefüllt hatten. Er stellte es auf den Boden und bestrich die Wunde mit einer Salbe, die nach fauligem Laub duftete, wodurch das Blut sofort ins Stocken kam.
    »Warten Sie einen Augenblick, bis ich wieder herunterkomme«, sagte er und trug das kleine Gefäß wieder auf den Hügel zurück, wo er kurze Zeit beschäftigt war. Während er oben weilte, fühlte Harald, wie sein Herz, das seine Schläge in der Aufregung des schnellen Aufstiegs, der Hitze und der Beichte stark beschleunigt geschlagen hatte, auf einmal wieder ruhig und so voll, wie er es nie zuvor erlebt, seinen Körper durchpulste.
    Jene traumhaften Geschehnisse, die er mühsam zu formulieren sich unterfangen, verblaßten auf einmal für ihn zu einem wirren und spukhaften Nichts, das er spöttisch bei sich abzutun wagte. Ja, alles noch kürzlich so Gegenständliche kam ihm auf einmal absurd, lächerlich und unmöglich vor, so daß er sich an den Kopf griff und sich vergebens zu enträtseln suchte, was ihn besessen habe.
    Aber der Chinese war eine Tatsache; denn er sah ihn jetzt wieder vom Hügel herabsteigen. Eine zweite Sicherheit war, daß er sich von einem seltsamen Zwang zu dem Manne hingezogen fühlte. Es war keine Sympathie, es war nicht einmal die, die man Neuartigem entgegenbringt und die mit einer gewissen prickelnden Wollust versetzt ist; es war ein unfaßbares Gebundensein an dieses leere Gesicht mit der glatten Stirn, hinter der doch so viel erstaunliches Verständnis für seine Ängste sich entfaltet hatte. Er mochte ihn im Grunde nicht, er war ihm unheimlich, ja seine wie Mäuse umherhuschenden Augen waren ihm ehrlich zuwider, und doch fühlte er, mußte er diesem Manne Rede und Antwort stehen, wann immer er es verlangen würde. Ein Seltsames war noch dabei. Nämlich trotz des flammenden Grüns um ihn herum und all der wachen Laute des Lebens stahl sich mit dem Gedanken an Herrn Sze wieder jener silberne Traum durch sein Hirn wie ein huschender Eindruck von etwas gewaltig Ersehntem, fast Erfüllbarem, dessen gletscherne Kühle sein heißes Herz einst umbettet und beruhigt hatte. Woher dieser Zusammenhang kam, war ihm ein Rätsel, und er dachte auch nicht weiter darüber nach, da er beschloß, sich von jetzt ab der Führung dieses Mannes zu überlassen. Er merkte freilich nicht, daß dieser Entschluß kein selbstgewollter war, sondern – um eine Phrase zu gebrauchen, die Herr Sze später öfters anwandte – von Urzeiten her vorbestimmter.
    Sie hatten das Wäldchen wieder durchquert, und auf der Landstraße sprach der Chinese:
    »Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Führung. Sie werden von jetzt ab verschont bleiben von dem, womit Sie sich beunruhigt. Sie werden nicht darüber sprechen, daß Sie mich kennengelernt haben. Sie werden nach Hause gehen und weiter leben, wie Sie es gewohnt sind. Und dann, wenn die Zeit reif ist, werden Sie wieder von mir hören.«
    Hierauf trennten sie sich.

Berufung
    Im Lokalblättchen war eine Notiz zu finden, daß ein ostasiatischer Gelehrter, der sich schon einiger Entdeckungen in der Chemie rühmen durfte, ein Herr namens Dr. Sze, den Aufenthalt in Deutschland als so

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