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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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für den Anblick stärken.«
    Harald blickte für einen Augenblick verblüfft auf. Das »Du« klang eigentümlich in dieser Stille, überraschend für einen, der ihn gefangen hielt und ihn bis jetzt mit eisiger Korrektheit behandelte.
    Aber seine Verwunderung darüber dauerte nicht an. Es hatte zu natürlich geklungen, und es war ihm auch inzwischen das Bewußtsein in Fleisch und Blut übergegangen, daß er und dieser seltsame Asiate von irgendeinem Zwang zusammengeschmiedet seien, der sich nicht lockern ließ, und an dessen Fessel alle Phrasen wirkungslos zerschellten.
    »Komm jetzt herab«, sagte Dr. Sze.
    Harald folgte ihm bis hinunter. Und was er dort unten erblickte, machte ihm den Atem stocken.
    Er wäre fast nach hinten gesunken, wenn nicht des Doktors Hand sich eng um seinen Arm gepreßt und er nicht ein leichtes Eindringen der spitzen Nägel auf der Haut gespürt hätte, einen leichten Schmerz, der ihn bei vollem Bewußtsein erhielt.
    Zunächst sah er freilich nur eine Masse von zackigem Nickeleisen, von Löchern durchbohrt wie ein Schwamm und mit geborstenen Spitzen bekränzt. Dann auf einmal ward ihm klar, daß dies ein ungeheurer Kopf schien, den er ausgegraben.
    Es war ein Antlitz, was dort herabstarrte; es war formlos; doch alles, was zu einem Antlitz gehört, war deutlich erkennbar. Zwei Löcher, in denen schwarze Dunkelheit saß, glotzten blind hernieder; eine gebogene Nase mit scharfem Rücken, besetzt von widerlich silbrigen Protuberanzen, wuchs zwischen ihnen herab. Lehm klebte noch an ihrer Spitze, aber was unter diesen Nüstern quer durch das zerfetzte Metall wuchs, war ein Maul, ein schnappendes Maul von so unerhörter Brutalität, von solchem Ausmaß, daß jede lauernde Maske, in Alpträumen erdacht, zu nichtssagender Puppenunschuld schrumpfte.
    Es war ein klaffender Schlund, mit zerfressenen Zähnen besetzt, die gleich unregelmäßigen Hauern wie ein Gestrüpp von metallenen Zacken am Rand emporgezerrter Lippen kranzartig durcheinanderwucherten . . . Was das Widerlichste war: dieses Maul, dieses alles schlingende, schien zu lächeln; – ja, die Spitzen dieser gierigen Höhle schienen emporgezerrt zu satanischem, stillem, unersättlichem Grinsen.
    Dieser Dämonenkopf glotzte von dort oben herab, und all das funkelnde, grünliche Licht, das so lebensvoll unter dem Dache spielte, rief nur stumpfen Reflex, den von Eisen und starrer Kälte, auf ihm hervor. Der Ausdruck war so entsetzlich in seiner versteinerten Tierhaftigkeit, daß Harald trotz der feuchten Schwüle sein Blut gefrieren fühlte und an allen Gliedern zitterte.
    »Sieh ihn jetzt nicht an. Beuge den Kopf. Ich werde dich stärken.«
    Dr. Sze war wieder entschwunden und kehrte mit der selben Flüssigkeit zurück, die Harald schon einmal so wohlgetan.
    Er brachte sie an des Knaben erblaßte Lippen, und dieser schlürfte. Als er wieder aufblickte, sah er dort oben ein Stück Eisen hervorlugen, das nichts weiter zu sein schien, als eben das Erwartete, nämlich ein Teilstück des Meteoriten von vielleicht reichlich abenteuerlicher Form.
    »Um Gottes willen,« stammelte er, »was war das dort oben?«
    Dr. Sze lächelte und sah ihn fast erstaunt an.
    »Du erschrickst leicht, mein kleiner Freund«, meinte er plaudernd. »Doch ich gebe zu: es ist eigentümlich, wie seltsam der Durchgang durch die äußerste Luftschicht so ein Stück Eisen aus dem Weltenraum modellieren kann. Da gibt es manchmal fratzenhafte Gebilde . . . Stelle dir vor,« meinte er und beugte sich gemütlich herab, »du hast hier ein Stück Blei. Du schmelzest es und läßt es in kaltes Wasser rinnen. Du erhältst einen Hund oder einen Schlitten oder ein Häuschen oder ein Gesicht, alles, was dein Herz begehrt. Das ist nichts Abnormes, und der Vorgang ist hier der gleiche.«
    Harald blickte wieder auf.
    »Nein,« schrie er plötzlich, »es kann nicht sein, es lebt schon wieder, das Ding dort oben, es schnappt nach mir. Helfen Sie«, und außer sich, drängte er sich an den Chinesen. »Lassen Sie mich heraus. Ich halte es nicht aus, lassen Sie mich, ich beschwöre Sie!«
    »Phantastereien«, murmelte der Asiate. Er legte ihm die kühlen Hände, die welken Kastanienblättern glichen, auf die heiße Stirn und strich ihm leicht mit den Fingern über die geschlossenen Augen.
    Sofort verstummte das Schluchzen. Harald richtete sich auf.
    Dr. Sze blickte ihn mit etwas erweiterten Augen an. Mit einem Male versank alle Angst, alle Beklemmung, ja alles Gedächtnis an das Frühere

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