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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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ohne Hilfe zurück in den Sattel. Ihr kostbarer, mit Goldfäden durchwirkter Mantel flatterte im Wind. »Wie sagtest du, Philippa, heißt das Dorf, aus dem dein Vater seine Sämereien bezog?«
    Philippa holte tief Luft. Sie hatte Katharina einen Bären aufgebunden, hatte von Rettichen fabuliert, die angeblich groß wie Hakenbüchsen wurden und deren Samen die Lippendorfer aus einem Ort mit Namen Rauhfeld bezogen hatten. Katharina war ihrem Vorschlag gefolgt, ohne mißtrauisch zu werden.
    »Es gibt noch einen weiteren Grund, Erfurt zu umfahren, Tante«, sagte Philippa. »Zufällig weiß ich, daß die Landgrafen von Thüringen kurz nach Epiphanias eine Holzbrücke über den Sumpf von Marktkirchheim haben bauen lassen.«
    »Und?« Katharina blickte erstaunt auf.
    »Der Brückenzoll richtet sich nach dem Gewicht der Fuhre. Aber als Mindestabgabe werden nicht weniger als vier Gulden und fünfzig Weißpfennige erhoben!« Erleichtert lockerte Philippa den Griff um ihre Zügel. Diesmal hatte sie weder gelogen noch übertrieben. Bartholomäus, der Buchhändler, hatte ihr bei einem seiner letzten Besuche in Lippendorf von der neuen Brücke berichtet und gleichzeitig seinem Unmut über den horrenden Brückenzoll Luft gemacht.
    »Ich bin froh, daß du mich begleitest, Philippa«, bemerkte Katharina anerkennend. »Es ist wichtig, sein Geld auf Handelsfahrten nicht unnötig zu vergeuden. Würde es dir Freude machen, wenn ich dich nach unserer Rückkehr in die Bewirtschaftung unserer Güter einführte? Natürlich nur soweit es deine Pflichten als Schulmeisterin zulassen?«
    Sie wartete Philippas Antwort nicht ab, sondern galoppierte ungewohnt ausgelassen dem Sonnenuntergang entgegen.
    ***
    Das Dorf lag am Fuße eines bewaldeten Hügels. Es bestand lediglich aus einer Handvoll strohgedeckter Hütten, einem festgestampften Platz zum Dreschen des Getreides sowie Scheunen und Kornspeichern, die von einem Zaun aus Flechtwerk, Bäumen, Hecken und Dornengestrüpp umgeben waren. An drei Einfahrtswegen deuteten hohe Palisaden Lücken im Bannzaun an, und tatsächlich erkannte Philippa beim Näherkommen ein paar mit Stricken befestigte Falltore. Eines davon war geöffnet und unbewacht. Lediglich zwei brennende Pechfackeln beleuchteten das Gatter. Auf der Dorfstraße begegnete ihnen keine Menschenseele. Ein paar Ratten huschten um die Ecke des Dreschplatzes, der mit seinem kunstvoll geschnitzten Pfahl offensichtlich auch dazu diente, Bekanntmachungen zu verlesen.
    Aus dem größten Haus am Platz, einem Gebäude aus roten Backsteinen, das ein verrostetes Schild als Schenke und Herberge auswies, drangen Kindergeschrei, Geschirrgeklapper und die gedämpften Töne einer Sackpfeife. Valentin lenkte das Fuhrwerk in die breite Einfahrt des Anwesens. Katharina und Philippa folgten dem Wagen in einigem Abstand.
    Die Musik wurde lauter. Zudem rief Philippa ein deftiger Geruch nach Räucherfisch, Zwiebeln und frischem Brot in Erinnerung, daß ihre letzte Mahlzeit schon mehrere Stunden zurücklag. Als sie jedoch die wenigen Stufen zum Eingang hinaufsteigen wollte, hielt Katharina sie zurück. »Ehe ich es vergesse: Ich pflege mich auf Reisen Frau Winter zu nennen. Glaub mir, es ist besser, wenn die Leute hier nicht erfahren, wer in ihrer Herberge absteigt. Valentin ist gewiß ein tüchtiger Knecht, aber er kann nicht in jedem Augenblick für unsere Sicherheit sorgen. In diesen wirren Zeiten darf die Ehefrau des Doktor Luther kein Risiko eingehen!«
    Philippa nickte verständnisvoll. »Wie Ihr wünscht, Tante. Laßt uns nun nach einem Schlafplatz und dem nächsten Gutshof fragen, damit wir gleich morgen das Geschäftliche erledigen können!«
    Die Wirtin, eine weißhaarige Frau in Witwenkleidung, überließ ihnen zwei Zimmer für die Nacht und kümmerte sich auch um das Gepäck und die Pferde ihrer unerwarteten Gäste. Die Kammern lagen unmittelbar über dem Schankraum und enthielten Kastenbetten aus stabilem Holz. Der Fußboden war mit frischem Stroh ausgelegt, das kleine Fenster führte auf den einsamen Dreschplatz hinaus. Auf Katharinas Frage nach einem Gutshof, welcher Sämereien verkaufe, antwortete die Wirtin, daß sie selber mit ihrem verstorbenen Ehemann in Rauhfeld einen Hof betrieben habe. Sie versprach, die fremden Krämerinnen gleich am nächsten Morgen über ihr Anwesen zu führen.
    Während Katharina sich nach einer bescheidenen, aber sättigenden Mahlzeit auf die Nacht vorbereitete, schlich Philippa sich heimlich die schmale Stiege zum

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