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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Tuchmacher und Kaufleute einen guten Ruf. Das große Haus gegenüber der Hirsch-Apotheke am Münsterplatz war ihr Stammsitz. Doch im Zuge der Reformation kam es zu Auseinandersetzungen mit der Tuchmachergilde. Ich kann mich nicht erinnern, worum es ging, denn zu dieser Zeit lebte ich noch in Basel, und mein guter Capito verabscheut nichts so sehr wie Klatsch. Jedenfalls verschwand ein Teil der ehemals angesehenen Sippe aus Straßburg, weil ihr das Ketzergericht drohte. Mehr weiß ich von diesen Dingen nicht.«
    »Und wer, verehrte Frau Wibrandis, könnte uns Auskunft erteilen?« Bernardi hatte die Küche unbemerkt betreten und die letzten Worte der Pfarrersfrau mit angehört. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt und lehnte sich gegen einen der mächtigen Stützbalken, von dem Pfannenstiele und Reibeisen in verschiedener Größe herunterhingen.
    Erschreckt schaute Wibrandis ihn an. »Nun, es gibt einen alten Mann, der mit den Leppers eng verbunden war. Sein Name ist Ulrich Hausbart, und er wohnt im Haus zum Huben, einem windschiefen Gemäuer direkt am Barfüßerplatz. Angeblich sitzt er jeden Tag von früh bis spät in seinem Erker und starrt über den Platz, als ob er jemanden erwartet.«
    »Ein wahrhaft günstiger Ort, um dem Scharfrichter nahe zu sein.« Bernardi verzog das Gesicht. »Am Barfüßerplatz finden doch noch immer die Hinrichtungen statt, nicht wahr?«
    »In der Tat, junger Mann!« Wibrandis Miene drückte Mißbilligung aus. »Aber der alte Hausbart dürfte davon ohnehin wenig haben. Er ist nämlich seit einigen Jahren blind.«
    ***
    Philippa und Bernardi ließen den Kirchhof hinter sich und bahnten sich einen Weg durch die engen Gassen Straßburgs. Trotz der frühen Morgenstunde waren bereits viele Menschen auf den Beinen. Ladenverschläge wurden geöffnet. Handwerker trugen ihre Tische vor die Häuser. Frauen schöpften Wasser aus den Brunnen und eilten raschen Schrittes über das Pflaster. Ein paar halbwüchsige Sauhirten trieben ihre Herden dem Speyertor entgegen. Im letzten Moment wich Philippa den grunzenden Schweinen aus und drückte sich gegen eine Lade, aus der ein zahnloses Weib auf die Gasse blickte und Philippa fragte, ob sie Garn, Spangen oder Knöpfe aus Schildpatt brauche.
    Von den Glockentürmen des riesenhaften Münsters her erklang das Morgenläuten, und wenig später stimmte eine Vielzahl weiterer Glocken, kleinerer und größerer, in das Dröhnen und Bimmeln ein.
    »Die Turmwächter geben das Geläut weiter«, erklärte Bernardi, als Philippa sich erstaunt umwandte. »So weiß jeder, wann es Zeit wird, die Stadttore zu öffnen!«
    Die Stadt machte einen friedlichen Eindruck auf Philippa; es gab wahrhaftig nichts, wovor sie sich am hellichten Tag hätte fürchten müssen. Und doch, je näher sie ihrem Ziel kam, desto stärker wurde auch ihr Unbehagen. Furcht überfiel sie. Furcht vor dem, was sie und Bernardi möglicherweise im Haus des Blinden erfahren würden. Vorsichtig spähte Philippa über die Schulter. Doch sie bemerkte nichts Verdächtiges und schalt sich, daß sie drauf und dran war, die Fassung zu verlieren.
    Dann tat sich auch schon der Barfüßerplatz vor ihnen auf: ein von Fachwerkhäusern, Lagerschuppen und Waaghäuschen umgebenes Areal, wie es Dutzende in Straßburg geben mochte. Mitten auf dem schlammigen Kopfsteinpflaster stand ein verlassener Karren, dem zwei Räder und die Deichsel fehlten. An den Hausecken stapelte sich der Unrat. Nichts deutete darauf hin, daß an Rechtstagen hier das Blutgerüst errichtet wurde.
    Bernardi erkannte das Haus zum Huben mit einem Blick. Wie Wibrandis angedeutet hatte, stand ein Mann am offenen Fenster eines winzigen Erkers, der die Form einer Muschel auswies und aussah, als wäre er irgendwann nachträglich an die Vorderfront angebaut worden. Der Mann hatte schlohweißes Haar, das ihm auf die Schultern fiel, und trug ein Barett aus blauem Samt. Philippa gab Bernardi ein Zeichen und näherte sich der Tür. Zaghaft ließ sie den Klopfer gegen das Holz schlagen.
    »Er wird nicht öffnen, Jungfer«, hörte sie plötzlich eine schnarrende Stimme in ihrem Rücken. Erstaunt drehte sie sich um und erspähte eine etwa dreißig Jahre alte Frau mit aufgeschwemmten Gesichtszügen. Unter ihrer fleckigen Haube quoll dichtes blondes Haar hervor.
    »Woher wißt Ihr das?«
    »Weil der alte Ulrich niemals Fremden die Türe öffnet. Ich habe es ihm verboten! Treibt sich doch jede Menge Diebesgesindel auf den Gassen herum. Die würden dem

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