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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Schürze. Sie begrüßte Philippa höflich und versicherte ihr, daß sämtliche Mündel der Kistenherren im Spital gut versorgt würden.
    »Unsere Amme ist eine sehr vertrauenswürdige Person«, erklärte die Spitalmeisterin. »Glaubt mir, Jungfer, das Kind ist hier absolut sicher. Solange die Barle noch nicht aufgespürt ist, lassen wir die Kleine nicht aus den Augen. Das kann Euch unser Medicus jederzeit bestätigen.«
    Philippa nickte beruhigt, wenngleich ihr die Beteuerungen der Spitalmeisterin ein wenig übertrieben vorkamen. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie die Frau bitten sollte, sie das Kind sehen zu lassen, entschied sich dann jedoch dagegen und ließ sich von der Einbeinigen zurück zum Tor begleiten. Während sie über den Innenhof lief, spürte sie, wie sich ihr Magen zusammenzog. Gewiß, sie hatte den Säugling aus den Fängen der betrügerischen Hebamme gerettet und fühlte sich weiterhin verantwortlich für sein Wohlergehen, aber war es nicht gefährlich, in diesen Zeiten Gefühle für ein namenloses Kind zu entwickeln? Hatte ihre eigene Vergangenheit sie nicht auf schmerzliche Weise gelehrt, wie rasch man alle Menschen verlieren konnte, an die man jemals sein Herz gehängt hatte.
    Unvermittelt blieb sie stehen. Aus dem oberen Stockwerk des Spitals drang lautes Husten, und zwei Stimmen stritten lautstark miteinander um eine Schüssel mit Erbsen.
    Die Kleine, hatte die Spitalmeisterin gesagt. Warum war Philippa da nicht sofort hellhörig geworden? Das Kind, das die fremde Frau im Haus der alten Barle geboren hatte, war aber ohne jeden Zweifel ein Knabe gewesen. Mit fliegenden Röcken stürmte Philippa an der verdutzten Siechenmagd vorbei, dem Spital entgegen.
    »Ich will das Kind sehen, Meisterin«, beschied sie der Vorsteherin atemlos. »Unverzüglich!«
    Die Spitalmeisterin stellte keine Fragen. Wortlos nahm sie ihren Schlüsselbund und ging Philippa mit wippenden Hüften voran. Die Einbeinige folgte ihnen in gemessenem Abstand. Als Philippa schließlich in dem lichtdurchfluteten Raum stand, in dem die Findelkinder von den Siechen durch eine dünne, mit Lehm und Stroh nur notdürftig versiegelte Wand getrennt lagen, begann ihr zu schwindeln. In ihren Schläfen rauschte das Blut wie eine Springflut.
    In der einzigen belegten Wiege der Kammer lag ein fröhlich krähender Säugling, dessen große Mandelaugen Philippa neugierig anblickten. Vorsichtig nahm sie ihn auf den Arm und machte sich daran, die strammen Binden zu lösen.
    »Was um Himmels willen tut Ihr da, Jungfer?« rief die Spitalmeisterin und warf der Einbeinigen einen vernichtenden Blick zu.
    »Die Lutherin hat Euch einen kleinen Jungen anvertraut«, sagte Philippa mit fester Stimme. »Hier aber liegt ein Mädchen. Wo ist das Kind, das man Euch brachte?«
    »Ihr müßt Euch irren, Jungfer von Bora. Unser Hospital und das Pfründnerhaus werden regelmäßig von zwei Ratsherren und sieben Diakonen kontrolliert. Sie verwalten auch sämtliche Urkunden. Dieses Mädchen ist das einzige elternlose Kind, das in letzter Zeit in unsere Obhut gegeben wurde. Von einem Knaben ist mir nichts bekannt! Ebensowenig meiner Siechenmagd, nicht wahr, Gerte?«
    Die weißhaarige Frau starrte einen Moment lang auf das strampelnde Kind in Philippas Armen. Dann stammelte sie: »Meine Meisterin … sagt die Wahrheit, Jungfer! Einen neugeborenen Knaben haben wir hier im Spital schon länger nicht mehr gehabt!«
    ***
    Als Philippa die Wohnung ihrer Verwandten betrat, schleppten zwei ältere Mägde, deren Gesichter von Pockennarben gezeichnet waren, Dutzende schmutziger Tonschalen aus den Räumen, welche den Studenten, die als Kostgänger der Lutherin im Schwarzen Kloster weilten, für ihre Mittagsmahlzeiten zur Verfügung standen.
    Ein aufdringlicher Geruch von Bohnen, Zwiebeln und Gänsefett folgte den Frauen bis in die Küche, wo sie das Geschirr in einen bis zum Rand mit Wasser gefüllten Schwenkstein stellten. Außer den beiden Mägden hielt sich nur noch Valentin Schuhbrügg in der Küche auf. Er hockte mit mürrischem Gesicht in einem dunklen Winkel und besserte mit etwas Bast Fischernetze aus.
    Philippa fragte nach ihrer Tante und erfuhr, daß Katharina in die Stadt gegangen war, um die 106 Scheffel Malz zu beantragen, die ihrem Mann neben seinem Gehalt von der Leucorea seit einiger Zeit zustanden. Die Universität kannte das Privileg, war aber mehr als nachlässig darin, seiner Erfüllung nachzukommen, was bedeutete, daß Katharinas Brauhaus in diesem Jahr

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