Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
reibungslose Ablauf des Unterrichts würde Philippa freie Hand geben, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
    »Wie ich sehe, werdet ihr noch eine Zeitlang beschäftigt sein«, sagte sie nach einer Weile. »Ich muß euch noch einmal kurz verlassen. Barbara, du wirst die Aufsicht führen.« Sie zog die Brauen hoch und nickte dem Mädchen in der ersten Reihe aufmunternd zu. »Aber laß die Rute, wo sie ist. Es gibt bessere Methoden, um sich Respekt zu verschaffen!«
    Philippa eilte die Treppen hinunter in den Hof. Hinter der Mauer des Badehauses fand sie den Sekretär ihres Onkels. Lupian hatte einen Fuß auf den Mauervorsprung gesetzt. Um ihn herum standen drei ältere Bienenkörbe, außerdem eine Kiste mit Rauchpfeifen, Wabenzangen und Gerätschaften zum Honigschleudern.
    »Jungfer von Bora!« begrüßte er sie mit einer höflichen Geste. »Es freut mich, Euch wiederzusehen. Habt Ihr jemals etwas Vollkommeneres in Augenschein genommen als ein Bienenvolk? Ein Staatsgefüge, das sich einig ist, seiner Herrscherin zu folgen und sich ihr bedingungslos zu unterwerfen?«
    »Nun, wenn ich ehrlich sein soll …«
    »Die Honigbiene gilt seit jeher als ein Symbol der uneingeschränkten Treue. Sie kennt ihren Stock ganz genau und würde ihn immer wiederfinden, gleichgültig, wie weit sie hinaus fliegt, um die Aufträge ihrer Königin auszuführen. Sagt selbst, Jungfer, sollte uns Menschen das Staatsgefüge der Honigbienen nicht als Vorbild dienen? Ein Herrscher, der ein gehorsames Volk regiert!«
    Lupian nahm eines der länglichen Wabenstücke aus dem Kasten und schabte mit einem spitz zugeschliffenen Stein eine dünne Wachsschicht herunter. Die winzigen Krümel rieselten wie Zucker über seinen kostbaren blauen Mantel mit dem schwarzen Pelzbesatz.
    Ungeduldig entgegnete Philippa: »Soviel ich weiß, ist es immer ein weibliches Wesen, das einen Stock regiert, Meister Lupian. Es gibt Sammlerinnen und Arbeiterinnen, aber sie werden nicht mit Anweisungen traktiert, die willkürlich und aus der Luft gegriffen sind. Die Königin erteilt keine Befehle, sie ist einfach da. Und sie kennt ihre Pflichten genau. Also muß sie ihrem Volk ebensoviel Gehorsam entgegenbringen wie das Volk ihr. Männliche Bienen spielen in diesem System wohl eher eine untergeordnete Rolle. Könntet Ihr Euch etwa vorstellen, unter einem derartigen Amazonenvolk zu leben, Meister Lupian?«
    Lupian brach in herzhaftes Gelächter aus. Um seine Augen legte sich ein Netz feiner Falten. »Das Regiment Eurer Tante gibt uns zuweilen einen Eindruck davon, wie so etwas aussehen würde. Im übrigen braucht Ihr mir gegenüber nicht unter Beweis zu stellen, daß Ihr Euch aufs Debattieren versteht. Ganz Wittenberg redet über Eure Begegnung mit dem Eidgrafen beim Gastmahl. Nur hoffe ich, daß Eure Einstellung zur Obrigkeit Euch nicht früher oder später in ernstere Schwierigkeiten bringt. Es gibt nun einmal Herren und Knechte. Auf der einen Seite das weltliche Schwert, auf der anderen das himmlische Wort. Darauf gründet sich die Theologie Eures verehrten Onkels. Aber ich vermute, daß Ihr mich nicht besucht, um etwas übers Honigschleudern oder die Lehre der zwei Reiche zu erfahren.«
    Philippa nickte ihm dankbar zu. Obwohl ihr langsam Zweifel kamen, ob Lupian der richtige Mann war, um ihr zu helfen, berichtete sie ihm, was sie im Pfründnerhaus erlebt hatte. »Es muß doch Urkunden geben, beglaubigte Papiere, die belegen, daß dem Rat der Stadt ein Waisenknabe überantwortet worden ist.«
    »Gewiß, Jungfer«, bestätigte der kahlköpfige Mann nachdenklich. »Die Dokumente müßten beim Ratsschreiber liegen. Wenn allerdings diese Barle etwas mit dem Verschwinden des Kindes zu tun hat, solltet Ihr auf der Hut sein. Die verdammte Schwarzkünstlerin ist gefährlicher, als Ihr glaubt. Angeblich verfügt das Weib über Kontakte zu den angesehensten Kreisen der Stadt, was erklären würde, daß man sie noch nicht aufgespürt hat. Ich werde mich um die Angelegenheit kümmern, sobald der Troß des Doktors Wittenberg verlassen hat.«
    »Heißt das, Ihr begleitet Doktor Luther nicht nach Schmalkalden?« Philippa ließ sich auf dem verwitterten Mauervorsprung nieder. Lupian war in den vergangenen Monaten zur rechten Hand ihres Onkels geworden, und es gab in der Stadt nicht wenige Zungen, die behaupteten, daß der Schreiber den Streit zwischen Luther und Melanchthon um die Schmalkaldischen Artikel geschickt am Lodern hielt, um seinen Einfluß auf den Reformator zu

Weitere Kostenlose Bücher