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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Huhn aus dem Eimer und fragte ihn, ob er es mir zubereiten könnte.
    Er nahm es und warf es ins Regal. »Ich mach es nach den Fahrrädern«, sagte er. »Ich bringe es euch dann.« Er schaute Max an. »Wenn ich hier wegkomme.«
    Max Wendt nickte und knurrte: »Kannst ja deinen Freund nicht verhungern lassen.«
    Auf dem Weg zurück zum Herrenhaus hörte ich hinter mir Motorengeräusche. Da ich bislang vor allem an Naturgeräusche gewöhnt war, blieb ich stehen und schaute mich um. Ein Militärlaster bog in die Kastanienallee ein und fuhr auf mich zu. Sollte ich in den Pferdestall neben mir ausweichen? Ich dachte an meine Mutter und Dagi, denen ich meine Beute bringen wollte. Ohne zu zögern lief ich los, an den trinkenden Soldaten vorbei die Freitreppe hinauf, und als es nur noch wenige Schritte bis zur schweren Eichentür des Haupteingangs waren, krachten vier Schüsse, von denen einer das obere Fenster in unserem Zimmer zerschlug. Ich hörte das Splittern und registrierte einen weiteren Einschlag rechts oben in der Tür, die ich gerade öffnen wollte. Ich zuckte mit der Hand zurück, drückte dann aber mit aller Kraft, sodass sie schnell aufging, und schlug sie krachend hinter mir zu.
    Hoffentlich hatte der hohe Schuss meine Mutter nicht getroffen.
    Im Zimmer machte ich die Tür hinter mir zu und fragte möglichst kontrolliert: »Mami, bist du in Ordnung?«
    »Alles in Ordnung«, kam es vom Schrank zurück. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Pass du auf, dass alles richtig läuft.«
    »Ja, ich passe auf.«
    Ich stellte den Eimer neben den Schrank, weil ich dachte, wenn sie hereinkommen und sich am Schrank zu schaffen machen, kann ich die Aufmerksamkeit auf die Eier lenken, dann würden sie den Schrank vielleicht vergessen. Ich hatte bemerkt, dass man ihre Aufmerksamkeit schnell mit etwas fesseln konnte, wenn sie betrunken waren. Sie würden die Eier erst einmal ausschlürfen wollen, ich könnte mit ihnen darum streiten und dabei vielleicht einen von ihnen als Verbündeten gewinnen, der bereit wäre, uns zu schützen. Meine Mutter hatte oft gesagt: Man muss sich auskennen. Und: Man muss etwas tun! Das versuchte ich.
    Ich schob Dagis Bett so vor die Tür, dass sie zwar geöffnet werden konnte, der Eindringling aber vor uns Kindern stand. Ich zog schnell die Schuhe aus, hüpfte zu Dagi unter die Decke und nahm sie so, dass sie wie eine Todkranke in meinen Armen lag. Beide schauten wir zur Tür und warteten. So hatten wir es mit meiner Mutter besprochen und ausprobiert. Könnte sie nur vom Schrank herunterschauen und sehen, wie ich alles richtig machte!

20. KAPITEL
    D
    er Lastwagen drosselte den Motor, wir hörten lautes Gebrülle und das Aufprallen von Füßen. Zwischen all dem Lärm gab es auch ein paar Schüsse.
    Durch das zerschossene Fenster war es so kalt, dass meine Zähne klapperten. Ich zog die Decke enger, in die ich Dagi und mich eingewickelt hatte. Ihr war wärmer, weil ich sie hielt und nur ihre Nasenspitze herausschaute.
    Im nächsten Moment flog die Tür auf, und zwei wilde Kerle standen vor uns. Das, was sie trugen, sollten zwar Uniformen sein, aber es hätten auch zerrissene Reiteranzüge sein können. Ihr Haar war schwarz, vom Wind zerzaust, sie trugen Bärte und unter buschigen Augenbrauen funkelten betrunkene Augen. Später erfuhr ich, dass es Mongolen waren, und meine Mutter sagte, das sei alles eine Suppe, denn alle, Russen wie Polen, Mandschussen wie Mongolen hätten von ihrem obersten Führer die Genehmigung, nach einem Sieg ungestraft zu morden, zu plündern und zu vergewaltigen. Die nun vor uns standen, sahen so aus, als würden sie alles auf einmal einlösen wollen.
    »Wo ist Frau?«, bellte der mit der großen Narbe über dem Auge, während der andere einen Hustenanfall bekam. Narbenstirn blickte wild im Zimmer umher. Ich lenkte seine Aufmerksamkeit auf mich, indem ich ein sehr großes Kreuz machte, dann zog ich die kleine, kranke Schwester enger an mich und begann laut, Gebete zu jammern, jedenfalls das, was ich für Gebete hielt.
    Es schien ihm nicht zu gefallen, denn er packte mich, zog mich aus dem Bett, sodass Dagi beinah mit heraus gefallen wäre und schleppte mich auf den Flur. Der andere folgte hustend und zog zum Glück die Tür hinter sich zu, sodass Dagi im Zimmer blieb, aber nicht mehr im Zug zwischen der offenen Tür und dem zerschossenen Fenster saß. Das war mir wichtig, denn sie sollte nicht krank werden. Der Mongo schubste mich gegen die Wand und brüllte: »Wo ist

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