Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
Vom Netzwerk:
mit den Offizieren weggegangen war, und ich dachte, vielleicht hätte mir das ein wenig Respekt eingebracht. Ich stellte mich in die Mitte, sagte laut »Brot!« und machte jemanden nach, der Brot schneidet und isst. Ich wartete auf eine Reaktion, doch niemand beachtete mich, sie rauchten, soffen und quatschten herum. Ich verließ die Küche, niemand rief »Stoi!«, ich ging in unser Zimmer und holte den Emailleeimer. Ich hatte die Idee, nach Eiern, unter dem Vorwand zu suchen, dass ich für die Russen in der Küche Wasser hole. Hühner gab es noch genug und Eier könnten Dagis Hunger erst einmal stillen. Würde mich jemand anhalten und fragen, hatte ich mir zurechtgelegt: »Russki Soldateska mich schicken Wasser holen.« Dabei würde ich auf den Eimer und zur Pumpe zeigen. In einem günstigen Moment würde ich in den Hühnerstall schlüpfen und nach Eiern suchen. Zwei für meine Mutter und zwei für Dagi würden uns schon ein ganzes Stück weiterbringen. Für mich brauchte ich nichts. Wenn ich nur an Essen dachte, wurde mir schon schlecht.
    Am Brunnen, der seit gestern schwieg, blickte ich nach links zum Obstgarten, ob die Soldaten noch da wären, die die Erschießung durchgeführt hatten. Inzwischen hatte ich mir angewöhnt, das, was mich interessierte, niemals direkt anzuschauen, sondern meine Intentionen zu verschleiern. Ich blickte also nicht zum Obstgarten, sondern zum Himmel, als wollte ich feststellen, ob es noch regnen könnte und streifte dabei mit meinem Blick den Zaun und den Eingang zum Obstgarten. Die Leichen lagen immer noch dort, und die Soldaten schwatzten, lachten und rauchten, während sie eine Flasche kreisen ließen. Also alles ganz normal. Mein nächstes Problem: Irgendjemand im Vorderabschnitt? Wenn ich eine klar geplante Aktion wie das Besorgen der Eier durchführte, dachte ich in kurzen Sätzen, genauso, wie die Soldaten: Angetreten, marsch, marsch! Frontreihe im Dauerlauf! Karabiner im Anschlag! Und jetzt? Keine feindliche Bewegung auf meinem Vorderabschnitt! Außer den trinkenden Soldaten, die den Administrator erschossen hatten. Es war niemand zu sehen. Also hatte ich eine Chance, wenn ich mich beeilte, unbemerkt in den Hühnerstall zu kommen.
    Ich versuchte so normal wie möglich zu gehen, aber auch so schnell wie möglich. Der Hühnerstall schloss gleich an die Kornscheune an, und mir kam die Idee, dort erst zu suchen, weil die Hühner da oft hingingen, sich ein Nest machten und ihre Eier legten. Eule hatte mir das gezeigt, und meist waren wir fündig geworden. Einfacher wäre es zwar im Hühnerstall, aber den räumten die Russen in kurzen Abständen aus. Sie konnten mit einer Hand ein Ei knacken und es roh austrinken. Sie liebten es. Ich mochte rohe Eier nur als Zuckerei.
    Als ich in die Scheune kam, gackerte ein Huhn, und ich wusste, dass es gerade gelegt hatte. In kurzer Zeit hatte ich acht Eier zusammen, weil die Russen hier nie suchten. Ich wunderte mich, denn eigentlich waren es alles Bauern, aber vielleicht waren sie zu faul, im Stroh herumzukriechen.
    Vorsichtig legte ich die Eier in den Eimer. Draußen musste ich über einige Hühner, die die Russen abgeknallt hatten, einen großen Schritt machen. Ich bückte mich, nahm ein junges, gut aussehendes Huhn und legte es in meinen Eimer. Vielleicht konnte Hotte es auf dem Schmiedefeuer rösten.
    Als ich an der Schmiede ankam, erinnerte ich mich an den Schneemann, den Eule, Hotte und ich gebaut hatten. Er hatte fast den ganzen Januar hier gestanden, ohne abzutauen. Von Elsbeth war der Zylinder gewesen, und von Elfis Mutter, die als erste erschossen worden war,hatten wir eine kräftige Mohrrübe als Nase bekommen. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er noch sauber und stattlich gewesen. Später hatten Eule, Hotte und ich ihn mit weiterem Schnee repariert, aber nun war nichts mehr von ihm zu sehen, und da, wo er gestanden hatte, waren die tief eingefahrenen Spuren einer Panzerkette.
    In der Schmiede traf ich Hotte und Meister Max Wendt an. Das Feuer glimmte, wenngleich sie kein Eisen drin hatten, weil sie beide an einem Fahrrad arbeiteten. Vier weitere Räder standen an der Wand. Hotte erklärte mir, dass die Russen im Moment ziemlich scharf auf Fahrräder seien.
    »Obgleich die nicht lange halten bei ihnen«, knurrte der Alte, der wie immer über seinen dicken Muskeln und seinem haarigen Oberkörper nur ein schwarzes Hemd mit dünnen Trägern trug. Hotte hatte einen Pullover an, dem die Ärmel abgeschnitten worden waren.
    Ich holte das

Weitere Kostenlose Bücher