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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Eingangstür bewacht. Wie war ihnen die Flucht gelungen, wo plötzlich alles voller Russen war? Ich dachte an verschiedene Waldwege, aber als wir zurück in den ersten Stock kamen, fiel mir ein, dass sie in ihrem Schlafzimmer versteckt sein könnten, wo wir noch nicht gewesen waren. Entschieden sagte ich zu Hotte: »Komm, ich weiß jetzt, wo Onkel Albi und Tante Sissi sind« und marschierte Richtung Westflügel.
    »Wo sind sie denn?«, fragte er misstrauisch.
    »In ihrem Schlaftrakt«, sagte ich fest und benutzte einen Ausdruck meiner Mutter.
    »Da komm ich nicht mit, da wollen die mich nicht sehen«, sagte er und blieb stehen.
    Ich drehte mich um. In seinem deutschen Soldatenmantel, an dem sämtliche Abzeichen fehlten, sah er aus wie der Mann aus Naugard, der immer das Alteisen eingesammelt hatte. Ihm fehlte nur die Glocke und dass er »Alteisen!« brüllte. Er sah nicht ängstlich aus, sondern schien mir traurig, vielleicht weil ich daran dachte, was er verloren hatte – seine sieben Brüder und die Eltern. Mich berührte schon die Ungewissheit um Onkel Albi und Tante Sissi, mit denen ich nicht einmal verwandt war, und er hatte nur noch Gerda und Max Wendt. »Bleib hier stehen«, sagte ich.
    Er schaute mich an, ohne etwas zu erwidern.
    »Warte auf mich.«
    »Hast du Angst?«, fragte er.
    »Nein!«, erwiderte ich fest und machte auf dem Absatz kehrt. Er sollte meine Angst nicht sehen.
    Keines der Zimmer im Seitentrakt war abgesperrt. Ich öffnete alle Türen, fand aber niemanden. Nach der vierten Tür stand ich in einem Salon, der ebenfalls leer war. In der Wand erkannte ich einen Türknauf und dann eine Tapetentür. Dahinter könnte das Schlafzimmer sein, denn das hatte ich bisher nicht gefunden. Auf Zehenspitzen schlich ich näher, fasste vorsichtig an, der Knauf drehte sich, die Tür ließ sich öffnen. Ich machte sie nur einen winzigen Spalt auf. Von drinnen hörte ich ein Winseln. Es klang so erbärmlich, dass ich die Tür öffnete und hineinschaute.
    Das Jaulen kam von Tante Sissis zwei Dackeln und wurde lauter, als ich eintrat. Dicht pressten sie sich an den Boden – vielleicht, um die Füße ihrer Herren nicht zu berühren, die über ihnen hingen. Tante Sissi und Onkel Albi hingen nebeneinander an Stricken von der Decke herab. Beiden war die Zunge ein wenig aus dem Mund gerutscht. Nicht weit weg lag ein umgekippter Stuhl, auf dem sie beide zuletzt gestanden hatten.
    Ich schämte mich. Ich wollte schlucken, konnte aber nicht, weil meine Kehle trocken war. Tante Sissi und Onkel Albi wollten bestimmt nicht, dass ich sie so sah. Ganz vorsichtig drehte ich mich um.
    Leise, als wäre ich heftig getadelt worden, ging ich zum Zimmer hinaus, doch im Flur fielen mir die Hunde ein, ich kehrte um und öffnete die Salontür zum Flur einen Spalt, weil Plüsch und Plum irgendwann vielleicht auch weg wollten. Dann rannte ich und berichtete Hotte, was ich gesehen hatte.
    Er legte seine Hand auf meinen Kopf. »Da sind sie dem Schlimmsten entgangen.«
    Ich zitterte, und er hielt mich fest.
    »Vergiss es.« Er sagte es sanft, aber bestimmt. »Sag zu niemand etwas. Lass uns versuchen, etwas für deine Schwester und deine Mutter zu essen zu finden. Und was zu trinken.«
    Ich wollte sagen, dass ich zwei Scheiben Schinken hatte, schwieg aber und begann bis zehn zu zählen, weil Tante Kläre gesagt hatte, wenn etwas Schlimmes passiert ist, dann zähle bis zehn, dann ist es vergangen. Und wenn nicht, sollte ich von vorne anfangen.
    Das brauchte ich nicht, denn ich war noch gar nicht bei zehn, da krachten draußen drei Salven. Es klang so drohend und endgültig, dass es mir sehr laut vorkam. Danach schien alles wieder sehr still.
    Hotte drückte mich noch fester, streichelte mein Haar und sagte, er gehe jetzt ans Fenster, um zu schauen, was passiert sei. Eigentlich durfte er nicht ans Fenster, es war zu gefährlich, denn die Russen liebten es, die Scheiben zu zerschießen, wenn sie betrunken waren.
    Er sagte mir nicht, was er gesehen hatte, als er vom Fenster zurückkam, sondern nahm mich bei der Hand, führte mich die Treppe hinunter, schob mich in unser Zimmer und verschwand.
     
    Im ersten Moment wollte ich meiner Mutter alles erzählen und setzte mich deswegen zu Dagi ans Bett, doch dann fiel mir Hottes Ratschlag ein, es für mich zu behalten.
    »Sie haben draußen geschossen«, hörte ich die leise Stimme meiner Mutter. »Es klang wie eine Exekution, was war da los?«
    »Ich schaue nach«, sagte ich, und schon war ich

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