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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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behandelte, hier war es gemütlich, und es schien mir plötzlich völlig schizophren, dass es auf der Welt brutal und grausam sein könnte.
    Es war aber so, doch ich hatte nicht den Mut, diese grausame Welt hier zu offenbaren. Ich brachte es nicht über mich, von Kathrin zu berichten. Weder ihr Vater noch Hotte hätten ihr helfen können, sie hätten nur ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt.
    Sie packten mir das Hühnchen in eine Tasche, ich bedankte mich und zischte ab. Ich nahm den Schleichweg durch den Obstgarten, sodass ich durch den Hintereingang ins Gutshaus kam. Ich öffnete die Tür einen Spalt, es war nichts zu sehen, die Luft schien rein. Schnell war ich drin. Auch in der Halle und im Flur war niemand zu sehen.
    Dagi lag immer noch in dem vorgerückten Bett, so wie ich sie verlassen hatte. Ich schaute zum Schrank, es war nichts Auffälliges zu bemerken.
    »Ich habe zu essen für dich«, sagte ich laut, um meiner Mutter zu signalisieren, dass es auch für sie galt.
    »Ich habe Durst«, sagte Dagi.
    »Du kannst ein Ei trinken«, sagte ich.
    »Mit Zucker?«
    »Nein.«
    »Dann will ich es nicht.«
    Ich stieg auf den Stuhl, holte aus der Tasche das in Papier eingewickelte Hühnchen und gab es meiner Mutter. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich sah ihre Hand, die durch die Luft tastete. Dann griffen die Finger zu, das Paket verschwand. Für einen Moment stand ich still, weil ich sie essen hören wollte. Ich wusste, dass sie mich für diese Tat lieben und bewundern würde. Sie hatte gesagt, hole etwas zu essen, und ich hatte es getan. Trotz aller Schwierigkeiten hatte ich es getan. Ich sah ihre leuchtenden Augen vor mir und wie sie mich in den Arm nehmen würde, wenn alles vorbei wäre.
    Es war gefährlich, auf dem Stuhl vor dem Schrank zu stehen. Ich sprang herunter und trug ihn zum Bett. Ich schlug ein Ei auf und zeigte Dagi, wie man es in sich hinein schlürfte. Als ich ihr eines geben wollte, sagte sie: »Ich habe Durst.« Dabei schob sie meine Hand weg.
    Ich dachte, wenn man solch einen Hunger hätte, würde man sich freuen. Ich war enttäuscht und nannte sie im Stillen eine blöde Ziege. »Sie ist doch noch zu klein«, hörte ich Tante Kläres Stimme. Vielleicht ist sie auch krank, dachte ich und überlegte, wie ich Milch für sie besorgen könnte.
    Ich versteckte die zwei restlichen Eier im Schrank, nahm den Eimer und verließ wieder das Zimmer.
     
    Die Kühe wurden zwar nicht gemolken, aber die Russen würden es sicher auch nicht als gute Tat ansehen, wenn ich es täte. Mir war das klar, aber dennoch würde ich es tun. Um meine Angst in den Griff zu kriegen, dachte ich mir in schwierigen Situationen ein Szenario aus. In diesem Fall stellte ich mir vor, ich gehörte zu dem Soldatenlager und wäre von einem der Offiziere beauftragt worden, die Kühe zu melken, weil er Milch haben wollte. Vielleicht würde ich ja meine beiden Offiziere wieder finden und könnte sie fragen, ob sie Milch haben wollten.
    Als ich aus der Haustür trat, sah ich von der Freitreppe aus einige Soldaten, die eine Kanone auf Rädern zogen, während Rübezahl nebenher ging und auf sie einredete. Sie hängten die Kanone an einen Lastwagen, der hinter dem Pferdestall geparkt war. Rübezahl – vielleicht wollte er Milch, man könnte ihn ja mal fragen.
    Ich lief zur Kanone, stellte mich vor ihn hin und fragte, ob er Milch möchte. Dabei machte ich die Bewegung des Melkens und zeigte auf den Eimer.
    Einen Moment starrte er mich verwundert an. Ich wich seinem Blick nicht aus, sondern sah seine vielen roten Adern in den Augen und überlegte, ob er vielleicht krank wäre. Tante Kläre sagte immer, Milch sei gesund. Vermutlich wusste er das nicht, und daher versuchte ich, es ihm verständlich zu machen. Ich sagte: »Milch gesund«, ließ meine Hand auf meinem Bauch kreisen und zeigte mit dem Finger auf meine Muskeln. Er grinste mich so breit an, dass ich das Silber in seinen Zähnen sehen konnte, zog mir den Pudel vom Kopf, verstrubbelte mein Haar, warf die Pudelmütze in die Luft, die ich geistesgegenwärtig mit dem Eimer auffing, wofür ich von ihm ein Schulterklopfen kassierte. Er rief einem, der bei der Kanone stand, etwas zu. Der Angesprochene kam sofort, packte mit seiner kalten Hand meinen Nacken und schob mich bis zur Kastanienallee vor sich her. Ich wusste nicht, was nun passieren sollte und blieb stehen. Er zeigte auf den Eimer und machte mit den Händen das Zeichen zum Melken.
    Ich nickte erfreut, wies zu den Kuhställen und ging

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