Die Maikaefer
Ofen.
Ich sprang auf und sah gerade noch, wie Tulga Elfi aus der Tür zerrte.
Alle rückten wieder zusammen, und dabei sah ich, dass es der Hofmeister gewesen war, der die Fackel aufgenommen hatte. Auch er war hier, sein Schinkenopfer hatte ihm nichts genutzt.
Die meisten hatten gefürchtet, Tulga würde das Backhaus abbrennen und waren noch so in Angst, dass sie sich kaum bewegten. Es verging eine Weile, und dann hörte ich eine weinende Frauenstimme: »Was werden sie mit ihr tun?«
Mir fiel ein, dass ich zurück musste zu meiner Mutter. Ich musste meiner kleinen Schwester etwas zu essen bringen. Ich musste feststellen, ob sie wohlauf war und warm genug angezogen, ob Mama den Toiletteneimer inzwischen benutzt hatte und er entleert werden müsste, und ich musste mir auch überlegen, wie ich das zerschossene Fenster reparieren könnte. Ich musste prüfen, ob noch genug Wasser im Eimer war, sodass Mama nicht verdurstete. Dabei fiel mir ein, dass Hotte vielleicht das Hühnchen fertig hatte. Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass das Hühnchen besser für Dagi wäre, denn vielleicht würde ihr von den rohen Eiern schlecht werden. Außerdem war ein knuspriges Hühnchen nahrhafter und schmeckte auch besser, denn Zucker für die Eier hatte ich nicht.
Ja, das Hühnchen, ich musste hier weg. Dagi und meine Mutter musste ich beschützen. Schon der Gedanke, jemand könnte sie beschimpfen, war mir unerträglich, und ich würde jeden töten, der das tat. So wie die Russen töteten. Ich spürte plötzlich eine Wildheit in mir und konnte es nicht mehr ertragen, mit den anderen am Feuerofen zu warten. Auch wenn es warm war, weil die Fackel das aufgeschichtete Holz im Abzug in Brand gesetzt hatte.
Als ich mich zum Ausgang drängte, hielt mich jemand fest. Es war Hofmeister Domke, der wissen wollte, was mein Rundgang ergeben hatte. Ich erzählte es ihm, aber umschweifig und langatmig stellte er immer wieder Fragen. Als ich alles mehrmals wiederholt hatte, und er endlich nichts mehr fragte, hob ich den Blick und sah, wie dem alten Mann die Tränen über die Wangen liefen.
Inzwischen war die Tür aufgegangen, und ich merkte, dass sich die Aufmerksamkeit aller dorthin richtete.
Ich konnte Erich Domke nicht helfen, ich wollte hier weg, aber Domke hielt immer noch meinen Arm. Behutsam machte ich mich los und zwängte mich zur Tür. Als ich es geschafft hatte, sah ich, was alle so gefesselt hatte: Die Mongos hatten Elfi zurückgebracht. Sie stand im Eingang und rutschte langsam mit dem Rücken die Wand herunter, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. Sie war blutbeschmiert, ihre Kleider zerrissen, die Haare zerzaust, und ich dachte, sie wäre dabei zu sterben.
Alle waren schockiert. Sie ahnten, dass dasselbe auf sie wartete. Die Mongos würden wiederkommen, oder andere würden kommen und sich immer wieder jemand holen, bis sie selbst dran wären. Dann würden sie sterben, nachdem sie das erlitten hatten, was Elfi erleiden hatte müssen. Wenn Elfi auch nicht so bestialisch zugerichtet worden war wie Eules Mutter.
Dieser Gedanke erfüllte mich, als ich zu ihr ging, ihr meine Hand auf die Stirn legte, wie meine Mutter das immer bei meinen Kopfschmerzen tat, und zu den anderen sagte: »Ihr müsst ihr helfen. Ihr müsst ihr Wasser geben.«
»Wir haben kein Wasser«, sagte jemand.
»Ihr müsst es von der Pumpe holen.«
»Wenn wir hier rausgehen, schießen sie.«
»Ihr müsst die Kühe melken, hört ihr nicht, wie sie brüllen?«
Sie wussten es selbst, Hofmeister Domke wusste es, und die anderen wussten es, aber sie wagten nicht, das Backhaus zu verlassen. Sie wollten nicht sterben.
Inzwischen hatten sie Elfi auf den gemauerten Tisch vor dem Fenster gelegt, wo sonst die Brote gestapelt wurden, und versuchten, ihr Blut zu stillen.
Ich machte die Tür auf und erwartete, dass mich die Wachen zurückstießen. Sie hockten vor einer Pferdedecke, auf der sie würfelten, und konzentrierten sich ganz aufs Spiel. Jeder hatte neben sich eine Flasche mit Wodka.
So unauffällig wie möglich ging ich um sie herum und verschwand auf der anderen Seite des Backhauses.
Hotte hatte das Hühnchen ausgenommen und zubereitet, es brutzelte in einer Kasserolle auf dem Feuer, während Max Wendt noch an einem der Fahrräder flickte.
Es war mollig warm und duftete so gut, dass mein Magen knurrte. Hier in der Schmiede herrschte nicht nur Frieden und Eintracht zwischen Hotte und seinem Pflegevater, der ihn wie sein eigenes Kind
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