Die Maikaefer
voran. Dabei musste ich um zwei deutsche Soldaten herumgehen, die neben der Jaucherinne lagen. Ich hatte sie zuvor nie auf dem Gut gesehen, keine Ahnung, wo sie herkamen.
Im Stall war es wärmer als draußen, und mir kam der Gedanke, dass meine Mutter sich vielleicht lieber hier verstecken sollte, auf dem Strohboden über den Kühen.
Ich wählte eine Kuh aus, die ich kannte und die Leni hieß. Sie brüllte wie die anderen, ihre Euter waren prall und taten ihr weh. Ich zog den Schemel heran, klemmte mir den Eimer zwischen die Beine und fasste sie vorsichtig an, damit sie sich an mich gewöhnte. Vor ein paar Tagen hatte meine Mutter mir die Fingernägel geschnitten, sie waren richtig kurz. Ich schaute zu dem Russen, der mich vom Gang aus beobachtete, grinste ihn an und begann zu melken. Ich war erleichtert, als die Milch in den Eimer spritzte, denn unter Feindbeobachtung, wie man das nannte, war ich mir nicht so sicher, ob alles klappen würde. Ich wusste zwar, wie man melkt, aber ich hatte keine große Übung darin. Ich wusste auch, dass man die Kuh richtig ausmelken sollte, aber das schaffte ich nicht. Mein Bewacher – er hatte kohlrabenschwarze Augen und eingefallene Wangen – reagierte auf meine Fragen oder Zeichen überhaupt nicht, sondern drehte sich eine Zigarette nach der anderen. Wahrscheinlich rauchte er nur und war daher so ausgemergelt. Er schien es nicht einmal wahrzunehmen, wenn ich zur nächsten Kuh ging, sondern paffte oder drehte. Schließlich war der Eimer dreiviertel voll, mehr konnte ich nicht tragen, und wir verließen den Stall. Es war schwierig für mich, den Eimer zu schleppen und nichts zu verschütten.
Ich ging um die zwei deutschen Soldaten herum, musste aber stoppen, als mir ein Puter in den Weg kam. Außerdem schwappte die Milch schon bis zum Rand, sodass ich den Eimer abstellte, um umzufassen. Vielleicht sollte ich meinen Begleiter laufen lassen, dann hätte nicht nur meine Schwester, sondern alle in der Backstube genug Milch. Gute Idee, ich ließ mir Zeit und nahm umständlich einen Strohhalm aus der Milch, der obenauf schwamm. Als ich aufblickte, kamen drei Soldaten aus dem Kornspeicher. Der eine knöpfte sich die Hose zu, der andere hatte eine Flasche in der Hand, und der dritte zielte mit seiner Pistole auf den Puter neben mir. Als er meinen ängstlichen Blick sah, lachte er und nahm meinen Eimer ins Visiers. Vielleicht zielte er auch auf mich, aber meine große Sorge galt der Milch, von der ich wenigstens etwas mit nach Hause bringen wollte, damit Dagi nicht krank würde. Schnell trat ich zur Seite, hob wie ein Eisenbahnschaffner die Hand und schrie mit aller Kraft: »Nicht schießen! Die Milch ist für den russischen Offizier!« Ich glaubte nicht, er würde mich verstehen, ich wollte mich nur meinem Begleiter bemerkbar machen, der von Rübezahl zu meinem Schutz abgestellt worden war. Das dachte ich jedenfalls. Wer die Unberechenbarkeit der Russen und Mongolen kannte, hätte darüber gelacht, aber ich hatte recht – mein Begleiter drehte sich um, überblickte die Situation und brüllte etwas sehr laut auf Russisch, das den Schützen veranlasste, seine Waffe wegzustecken. Dennoch kamen die drei auf mich zu, und ich fürchtete schon, sie würden den Eimer umtreten, aber mein Bewacher war schnell zur Stelle und redete so lange auf sie ein, bis sie sich in Richtung Kuhstall verzogen. Vielleicht hatte er ihnen gesagt, sie sollten selber melken gehen. Nun nahm er meinen Eimer, und wir marschierten zusammen zu der Kanone.
Niemand von den Kanonenarbeitern war mehr da. Auch ihr Chef nicht. Mein Bewacher zuckte die Schultern, spuckte Tabak aus und gab mir den Eimer zurück. Ich fragte ihn, ob er keine Milch haben wolle. Er schüttelte den Kopf, aber als er weggehen wollte, hielt ich ihn an seiner Jacke fest, machte ein sehr hilfloses und ängstliches Gesicht und zeigte auf das Herrenhaus. Er verstand, brachte mich an all den herumlungernden Banditen zwischen den Panjewagen vorbei bis zur Freitreppe, schenkte mir noch eine Zigarette aus seinem gedrehten Vorrat und ging auf eine Gruppe zu, die sich aus den zerschlagenen Möbeln ein Lagerfeuer machte.
Ich schleppte den Eimer schnell ins Haus. Vor unserer Tür blieb ich stehen und lauschte. Von drinnen kamen Stimmen.
Männerstimmen. Sofort hatte ich das Ende von Elsbeth und Eule vor Augen und fühlte mein Herz bis zur Kehle.
Wieder wurde mir schlecht, aber ich wollte mich nicht übergeben und drückte das Würgen herunter. Was sollte ich
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