Die Maikaefer
»wäre das nicht gut gegangen. Und natürlich«, fügte sie mit einem Kuss auf meine Stirn hinzu, »wenn du mich nicht so gut versorgt hättest.«
Für diesen Satz würde ich alle Gefahren auf mich nehmen, und sie musste ihn jeden Abend vor dem Einschlafen wiederholen. Ich strahlte und erzählte ihr von irgendeiner Schwierigkeit, die ich hatte überwinden müssen, zum Beispiel, um ihr das geröstete Hühnchen zu bringen. Danach streichelte sie mich und sagte: »Gut gemacht.«
Rübezahl war in die Wohnung des Administrators eingezogen, die Kommandantur aber hatte er in den Arbeitsräumen Onkel Albis, also im Parterre des Herrenhauses. Das bedeutete für uns zusätzlichen Schutz.
Weil Hofmeister Domke ihm beim Wiederaufbau des Gutes und Neubeginn des landwirtschaftlichen Betriebes half, hatte er seine Wohnung im Gebäude der Stellmacherei behalten dürfen. Der hauptsächliche Grund bestand aber darin, dass in seinem Haus eine Verwundete lag, die wahrscheinlich einen Transport in ein anderes Bett nicht überlebt hätte. Es war Elfi. Sie hatte eine große Wunde am Rücken und schlimme Schmerzen. Jeden Tag besuchte ich sie, saß bei ihr am Bett und streichelte ihre Hand. Trotz ihrer starken Schmerzen wollte sie immer weg und sich im Wald verstecken, was Else, die Frau des Hofmeisters, nur mit Mühe verhindern konnte. Jeden Tag versicherte auch der Hofmeister ihr, dass sie hier sicher sei, aber meine Mutter meinte, dann müsste er schon alle Türen und Fenster zumauern.
Ich spürte ihre Wut über die bitteren Tage auf dem Schrank. Doch seit Rübezahl das Gut wieder in Schwung bringen wollte und sich vom Hofmeister beraten ließ, gab es keine Übergriffe mehr.
Als meine Mutter abends vom Beerdigungsdienst zurückkam, wie sie ihre neue Beschäftigung nannte, brachte sie ein Brot mit. Der Bäcker Otto Buns hatte es ihr auf dem Weg durch den Rosengarten zugesteckt. Sie fühlte sich so reich und war so fröhlich, dass sie noch jemand zum Essen einladen wollte. Sie schickte mich, Hotte, Eckhard und Brunhilde zu holen, die auch den vierjährigen Ricki mitbringen sollten, wenn die Kelms nichts dagegen hätten. Als ich mit unseren Gästen zurückkam, war sie in der Küche, wo alle ihre kargen Mahlzeiten zubereiteten. Sie war gerade dabei, das Brot als zusätzlichen Leckerbissen zu den Bratkartoffeln aufzuschneiden. Sie hatte die geschnippelten Kartoffeln schon in der Pfanne, wo sie mit ein bisschen Ersatzkaffee geröstet wurden. Sie bat mich, den Tisch bei uns im Zimmer zu decken und die blauen Teller aus der Küche zu nehmen. Zu unserer Überraschung gab es noch für jeden eine Tasse Buttermilch. Obwohl wir alle ziemlich hungrig waren, warteten wir darauf, dass meine Mutter aus der Küche kam und sich als erste setzte. Dagi wollte nicht hinter ihrem Stuhl stehen bleiben, bis meine Mutter kam, aber ich erlaubte keine Ausnahme. Jede Ordnung schien mir ein Zeichen von Sicherheit.
Als Mama kam, wollte sie als Erstes wissen, warum der kleine Ricki nicht mitgekommen war, und Brunhilde berichtete, dass er seit heute Nachmittag vermisst wurde. Die Kelms waren in ziemlicher Aufregung und hatten zusammen mit Eckhard und Brunhilde schon jeden Winkel des Gutes nach ihm abgesucht. Jetzt hatte es keinen Zweck mehr, weil es schon zu dunkel war.
Meine Mutter sagte, wir alle könnten dankbar sein, dass wir noch am Leben seien und etwas zu essen hätten, und Eckhard fügte an: »Gedankt sei Gott!«
Allen schmeckte es, doch Brunhilde aß nicht viel, weil ihr das Verschwinden von Ricki sehr zu schaffen machte. Sie hatte sich immer um diesen Nachzügler der Kelms gekümmert, vor allem weil die Mutter den ganzen Tag über in der Gärtnerei war.
Bruni sprach die ganze Zeit von Ricki, von seinen weizenblonden Haaren, seinen strahlend blauen Augen, seiner unkomplizierten Art und fröhlichen Wissbegier, erzählte, wie sein Vater ihm das Schwimmen beigebracht und Ricki sich jeden Tag im Sommer auf den Abend gefreut habe, wenn er mit dem Vater zum See führ. Bruni war oft dabei gewesen und beschrieb, wie Ricki im Wasser herumgetollte, wie er plötzlich von ganz alleine schwimmen konnte und wie sein Vater oft Mühe hatte, ihn wieder nach Hause zu bringen.
»Stotterte er nicht?«, fragte meine Mutter.
Brunhilde nickte. »Ja, aber er stottert nur, wenn er aufgeregt ist.«
»Das stimmt«, sagte Eckhard. »Wenn Bruni ihn im Arm hält, kann er ganz normal reden.«
»Er darf sich nicht gedrängt fühlen. Ich habe immer versucht, mit ihm gelassen zu
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