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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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tun? Meinen Begleiter holen? Vielleicht würde er mir diesmal nicht helfen. Vielleicht wäre es dann auch schon zu spät.
    Ich schaute durchs Schlüsselloch. Ich sah nur einen Teil der Kommode, die vor dem Fenster stand und deren oberste Schublade herausgerissen war. Meine Angst wechselte ihre Farbe, wurde Wut, und ich trat ein.
     
    Zwei Russen saßen am Tisch vor einer Flasche. Es waren normale Soldaten, keine Offiziere. Dagis Bett war zurück an die Wand geschoben worden. Sie lag unter der Decke, den Daumen im Mund, ihren Blick auf die beiden Fremden gerichtet. Sie hatten unsere Mutter auf dem Schrank offensichtlich noch nicht entdeckt.
    In meiner inneren Welt zauberte ich den Begleiter herbei. Er war größer als die beiden vor mir, stärker, sehniger, auch bedrohlicher mit seinen kohlschwarzen Augen. Er hatte bereits die drei anderen vertrieben, obgleich einer mit einer Waffe auf mich zielte. Er würde auch mit diesen beiden fertig werden. Seine Autorität stärkte mich. Ich hatte herausgefunden, dass ich erstens sehr schnell handeln musste, und zweitens, dass ich stets Dinge tun musste, die sie nicht so schnell einordnen konnten. Dafür brauchten sie dann ihre Konzentration und konnten sich nicht selbst etwas einfallen lassen.
    Ich ging zu dem, der mir am nächsten saß und zeigte ihm den Inhalt meines Eimers. Dazu redete ich irgendetwas von einem Offizier, der mir die Milch geschenkt hatte. Dann ging ich um ihn herum und zeigte auch dem anderen die Milch im Eimer, erwähnte noch mal den Offizier, fasste dann mit beiden Händen zu und stellte den Eimer auf den Tisch. Mit schnellen Zeichen gab ich ihnen zu verstehen, dass ich nun rausgehen würde, um Tassen zu holen und etwas zu essen. Mit ein paar weiteren Bewegungen verbot ich ihnen, den Eimer in der Zwischenzeit anzurühren. Ich hatte das alles als sehr vehementes Theater aufgeführt, um sie zu verblüffen, und als ich zur Tür ging, lachten sie. Sie redeten auch irgendetwas, aber es klang nicht bedrohlich.
    Die Küche war leer, und ich konnte unbehelligt einen der Schränke öffnen. Nach allem, was ich bisher erlebt hatte, kam es mir wie ein Wunder vor, dass das Porzellan sauber und heil vor mir stand. Die Küche war offenbar nicht geplündert worden, vielleicht die Anweisung eines der Offiziere. Ich nahm drei Tassen.
    Zurück im Zimmer, füllte ich die Tassen mit der fast noch warmen Milch. Ich stellte je eine vor die beiden Soldaten, und eine brachte ich zu Dagi ans Bett. Sie richtete sich auf und trank. Ich konnte fühlen, wie sie fror.
    Mein Problem war, die beiden aus dem Zimmer zu locken, denn meine Mutter hatte schon länger nichts mehr getrunken und musste vielleicht auch auf den Toiletteneimer, den ich danach immer gleich hinausbrachte, ausleerte, putzte und dann in den Schrank zurück stellte, damit er nicht gefunden würde. Der Toiletteneimer durfte kein Misstrauen erregen und auch nicht abhanden kommen. Schließlich wussten wir nicht, wie lange Mama sich noch verstecken musste.
    Sie hatten ihre Tassen geleert. Ein Milchbart zierte ihren unrasierten Mund. Anscheinend hatte es ihnen geschmeckt, doch als ich ihnen nachschenken wollte, machten sie mir Zeichen, dass sie keine Milch mehr wollten, sondern etwas zu essen. Ich nickte, malte mit den Händen ein Brot in die Luft, das ich zerschnitt, bestrich und in einer übertriebenen Pantomime mit großem Behagen verzehrte. Dann streichelte ich mit kreisenden Bewegungen wieder meinen Bauch, was sie verstanden.
    Sie nickten und sagten etwas zueinander, während ich nach draußen in den Hof zeigte und vormachte, wie nicht ich, sondern sie das Essen holen sollten. Ich war nicht sehr zuversichtlich, dass sie meiner Aufforderung folgen würden, aber von draußen erklang in dem Moment ein seltsames Signal, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Es war ein Ton wie aus einer kaputten Trompete. Sie standen auf, schüttelten mir übertrieben die Hand und verließen unser Zimmer.
    Trotz aller Gefahren ging ich ans Fenster, sah, wie sie aus dem Haus kamen und über den Hof marschierten, wo Rübezahl auf der anderen Seite die Soldaten antreten ließ.
    Jetzt war die Gelegenheit für meine Mutter günstig, vom Schrank zu kommen und den Toiletteneimer zu benutzen.
    »Sie müssen antreten, Mami, jetzt kannst du schnell runterkommen und den Kloeimer benutzen!«
    »Gib acht!«, sagte sie, kletterte schnell herunter, während ich den Hof im Auge behielt. Sie nahm den Eimer aus dem Schrank, riss etwas Zeitungspapier ab, womit der

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