Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
Vom Netzwerk:
ausgedehnt. Der intensiv duftende Thymian blühte, und überall schwirrten Bienen herum, die es nicht weit bis zum Rand des Wäldchens hatten, wo Richard Witteks Bienenstöcke standen. Eigentlich hätte ich es nicht gewagt, mit kurzen Hosen über das Feld zu gehen, aber Paul hatte mich in einen Zustand gebracht, in dem mir alles egal war. Da ich niemanden bei den Bienenstöcken sah, änderte ich meine Absicht und ging zu einem der Tümpel, an dem ich schon einmal mit Hotte geangelt hatte. Überall gab es solche Kuhlen und Teiche aus der Eiszeit. Manche waren wie kleine Seen, doch traute sich da niemand von den Dorfkindern zu baden, weil sie sehr tief und nicht nur voller Fische, sondern auch voller Blutegel waren. Ich setzte mich an den Rand und schaute auf die gelben Blüten der Schwertlilien, auf das Schilf und die Binsen. Nach einer Weile bildete ich mir ein, dass sich die Rohrkolben bewegten und sah auch dunkle Schatten bei den Seerosen. Das schwarze Wasser wirkte so unheimlich, dass die Kinder auf dem Gut glaubten, die Schwärze verschlucke jeden, der es wage, in einem der Tümpel zu baden.
    Ich legte mich auf den Rücken und kniff die Augen zusammen, sodass die Sonnenstrahlen sich in rote, blaue, grüne und gelbe Punkte verwandelten und atmete tief ein. Der kräftige, aromatische Geruch der blühenden Pflanzen um mich her hatte eine leicht betäubende Wirkung, auch auf meine Trauer und Wut. Ich wartete so lange, bis ich zu Paul wieder eine Zuneigung verspürte und beschloss, ihn heute Abend vor dem Schlafengehen zu bitten, nicht mehr auf Vögel zu schießen.
    Als ich mich später an sein Bett setzte und ihn erst einmal vorsichtig fragte, wie es ihm inzwischen auf dem Gut gefalle, machte er eine Schleiereule nach, klapperte mit seinen langen Wimpern und sagte: »Hörst du ihren dumpfen Ruf hu … hu … hu … dreimal, dann wird bald jemand sterben.« Er ahnte nicht, dass er es selbst sein würde. Er legte die Hände an den Mund, sodass es klang wie eine unheimliche Stimme aus dem Schornstein des Backhauses. Ich wollte aufstehen und weg, doch er hielt mich fest und streichelte meine Hände. »Euch hier auf dem Gut ist doch die Schleiereule sehr willkommen, weil sie die Mäuse und Ratten tötet, von denen sie sich ernährt.« Er lächelte mich süß wie eine Prinzessin an. »Und von kleinen Vögeln, die aus dem Nest fallen.«

10. KAPITEL
    S
    eit es keine Butter mehr gab, hatten wir ein polnisches Mädchen, Alexa. Sie war zwei Jahre älter als Hotte, obgleich sie nicht älter aussah. Hotte war mein Freund, und der Altersunterschied spielte aus meiner Sicht keine Rolle. Wirkte Alexa also mit Hotte gleich alt, so musste ein Altersunterschied zwischen ihr und mir ebenso bedeutungslos sein. Dieser Gedanke überzeugte mich, und von da an fühlte ich mich Alexa sehr nahe.
    Sie hatte dunkles, in zwei sehr dicken Zöpfen geflochtenes Haar, dunkle Augen, die stets schwarz glühten, wenn ich an ihr vorbeiging, und dicke, dunkelrote Lippen, weil sie oft von den Brombeeren, Kirschen, Johannisbeeren oder Blaubeeren naschte, wenn sie frisch gepflückt in der Küche standen oder auch, wenn sie ein Glas der eingeweckten Früchte öffnen musste.
    Ab Juli gab es keine Butter mehr, weil Ortsgruppenleiter Ludwig Finke es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht hatte, das private Butterungsverbot der Partei durchzusetzen. Das bedeutete, dass die Partei den Rahm abschöpfte und es für uns, selbst mit den Kontakten nach Drewitz, sehr schwierig wurde, Sahne oder gar Butter zu bekommen. Als Tante Kläre uns Ende Juli verließ und zu Verwandten nach Stettin zog, nahm sie die letzte Butter als Gastgeschenk für Tante Eva und Onkel Otto mit. Von dem Tag an gab es keine Brötchen und kein Brot mehr mit frischer Butter und sonntags keinen Butterkuchen. Von dem Tag an war Alexa bei uns, die von nun an Tante Kläres Hausarbeiten übernahm.
    Alexa musste das erst lernen, denn sie kam aus Weißrussland. Sie selbst glaubte, sie könnte das alles, weil sie auch in ihrer Heimat den Haushalt geführt und gekocht hatte, aber mein Vater war der Meinung, in einem hoch industrialisierten Land wie dem Deutschen Reich müsste sie erst eine besondere Eignung erwerben, und setzte fest, dass sie die hätte, wenn sie ohne jedes Problem mit der Wäschemangel im Keller umgehen könnte.
    Am ersten Sonntag, nachdem Alexa bei uns war, beklagte meine Mutter das ganze Frühstück über, dass es keine Butter zum weich gekochten Ei gäbe, keine frischen Butterbrötchen

Weitere Kostenlose Bücher