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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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deren Schatten über die Kastanienallee huschten. Einer der russischen Kriegsgefangenen war damit beschäftigt, Pferdeäpfel auf ein Blech zu fegen. Vielleicht war Hotte in der Baracke bei den Gefangenen, von denen ihm einer Russisch beibrachte. Dafür gab Max Wendt ihm immer frei, weil er meinte, man wüsste nie, was noch kommen würde. Auch die anderen Russen waren bemüht, Hotte bei seinen Fortschritten zu helfen. Sie mochten ihn, und das nicht nur, weil er ihnen oft aus frischer Schlachtung oder aus der Bäckerei etwas mitbrachte. Ich fragte den Russen, ob er Paul gesehen habe, doch der verstand mich nicht und sah mich nur seltsam an.
    Ich wählte den Weg hinter den Pferdeställen zur Schmiede, und als ich an der Remise vorbei kam, entdeckte ich Paul auf dem Kutschbock der großen geschlossenen Chaise, wie er mit seiner Tesching auf ein Schwalbennest mit sechs Kleinen zielte.
    Ich schrie »Nicht schießen!«, aber er hatte schon abgedrückt. Ein Teil des Nestes bröckelte zu Boden, und vier von den Kleinen fielen herunter. Ich wusste, dass ihnen nicht mehr geholfen werden konnte, rannte schnell zu der Kutsche, kletterte zu Paul auf den Sitz und belehrte ihn aufgeregt, dass er das nicht dürfe.
    Er wandte mir ganz freundlich sein Gesicht zu. Er hielt mir seine Pistole hin und fragte lächelnd, ob ich auch einmal schießen möchte.
    »Das darf man nicht!«, sagte ich ganz außer mir. Ich war noch niemals dabei gewesen, wie ein Tier getötet worden war. Ich hatte auch noch nie gesehen, wie ein Tier ein anderes zur Strecke gebracht hatte, und ich hätte sogar noch einer Maus geholfen, der Katze zu entkommen. Das war für ein Landkind ungewöhnlich, aber meine Mutter akzeptierte das, weil sie in mir nicht das Landkind, sondern ein künstlerisch begabtes Kind sehen wollte, das, wie sie selbst einst, auf dem Weg ins Konservatorium nach Stettin war.
    Ich hätte die Tesching nehmen und weglaufen können, aber ich war so schockiert, dass ich die Waffe weg schob und wiederholte: »Das darfst du nicht! Man darf auch keine Nester ausnehmen!«
    Das entsprach der Wahrheit, denn selbst wenn Eule oder Hotte auszogen, um Kiebitz-Eier zu suchen, ging ich immer nur mit, um sie davon abzulenken oder abzuhalten, sobald sie einem Nest nahe kamen. Ruthchen hatte mir die Taktik der Kiebitze erklärt, die im Tiefflug über den Jäger hinweg flatterten, um ihn vom Gelege abzulenken. Manchmal stellte sich ein Kiebitz auch krank und ließ einen Flügel hängen. Dann versuchte ich dem Vogel zu helfen, indem ich Eule oder Hotte animierte, dem scheinlahmen Vogel zu folgen.
    Ruthchen hatte mir auch das Nest des Hühnerhabichts in dem Kieferwäldchen jenseits der großen Kuhweide gezeigt und gesagt, dass er sich während der Aufzucht seiner Brut oft ein Huhn der Gutsbewohner hole, um damit seine Jungen zu füttern. Aus Rache zogen dann die größeren Jungs aus der Siedlung los, um sein Nest auszunehmen. Hotte war dabei und hatte mich eingeladen mitzukommen, aber auch das hatte ich mit Erfolg boykottiert und konnte später sehen, wie die zwei Habichte flügge wurden.
    Paul schob mich zur Seite und zielte wieder, aber diesmal traf er nicht. Es war kein großer Trost für mich, denn die Schwalbeneitern würden das Nest nicht mehr reparieren können und es nicht mehr betreuen. Meine letzte Hoffnung war, dass es in der Küche vielleicht jemand gäbe, der die Kleinen mit einer Pinzette futtern würde, doch als ich vom Wagen kletterte, um sie unter dem Nest einzusammeln, sah ich, wie sich die große Tigerkatze, die sich immer im Kuhstall herumtrieb, gerade das letzte Vögelchen schnappte.
    Verzweifelt schrie ich Paul an: »Da siehst du, was du angestellt hast! Wenn man mit dir so was machen würde!«
    »Der Tod ist ein Teil der Natur«, sagte er lächelnd und warf mit einem Schwung des Kopfes seine langen Haare nach hinten. Dass er sie zu lang tragen durfte, war eine Liebeserklärung seiner Mutter.
    Der Tod ein Teil der Natur, ja, aber er war nicht in mir, und daher konnte ich ihn auch nicht austeilen. Ich liebte die Pferde, die Schafe, die Schwalben, sogar die Bienen, selbst wenn sie stachen, ich liebte auch meine Schwester, außer wenn ich wütend war, weil sie mein Spielzeug nahm. Wütend war ich auch jetzt und unter Tränen brüllte ich zum Kutschbock hinauf, dass ich mit ihm nicht mehr spielen werde.
    Dann ließ ich ihn sitzen, ging zum Bienenwäldchen, wo ich Brunhilde vermutete. Vor dem Wäldchen hatte sich ein großes Feld von wildem Thymian

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