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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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und nachmittags keinen Butterkuchen.
    In dem Moment begriff ich, dass nicht nur Butter fehlte, sondern dass sich etwas sehr Bedrohliches ereignet hatte oder anbahnte, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das war, aber ich wusste, dass meine Mutter niemals klagte und bislang jeder Situation gewachsen gewesen war. Ihrem anhaltenden Unmut musste also ein großes Unheil zugrunde liegen. Sogar Alexa spürte das, denn sie fragte mich im Keller, ob meine Mutter auf sie böse wäre.
    Ich klärte sie über die Butterrationierung auf, während sie die Wäsche, die zu mangeln war, um eine lange Rolle wickelte.
    »Vielleicht ist sie schlecht gelaunt, weil dein Vater nicht da ist«, sagte sie.
    »Das kann nicht sein, sie fährt ja immer nach Dresden und besucht ihn da«, sagte ich, während ich ihr beim Wickeln half.
    Sie zeigte mir, wie ich das richtig zu machen hatte, damit die Knöpfe nicht brachen. Dabei berührte sie meine Hände, was mir sehr gefiel. Sie legte die Rolle unter den Kasten, in dem eine Kurbel lag und dicke Steine. Dann kurbelte sie den Kasten auf der Wäscherolle hin und her. Dabei warnte sie mich, nicht die Hand unter die Rolle zu kriegen, weil sie dann zerquetscht würde und im Krankenhaus abgenommen werden müsste. Ich fragte sie, ob sie das schon mal erlebt habe; sie lachte und sagte: »Oft.« Ich fand das Thema sehr interessant und wollte ganz genau wissen, wie weit die Hand von dem Betreffenden überrollt worden war, wann er das gemerkt hatte, ob er dann schrie und ob sie dann trotzdem noch weiter gedreht hatte.
    Diese Fragen und ihre Antworten waren alle aufregend und daher unerschöpflich, denn es ging nicht nur darum, ob die Rolle bis zum Ellbogen über den Arm rollen konnte, sondern auch darum, was geschehen würde, wenn man den Fuß darunter stellte, ob sie sich das trauen und wann sie zurückzucken würde und so weiter. Ich liebte diese Aufregung, besonders weil ich meinte, dass ich sie mit ihr teilte. Wenn sie nicht richtig mitmachen wollte, forderte ich sie auf, jetzt mal ihre Hand oder wenigstens einen kleinen Finger darunter zu legen, und wenn sie das nicht in Lachen oder Erregung versetzte, schob ich meine Fingerspitzen in die Nähe der Rolle, sodass sie aufschrie und mir mit dem Fuß einen Stoß gegen die Schulter gab. Dabei konnte ich unter ihrem Rock den Schlüpfer sehen. Das dürfe ich nicht, sagte Tante Kläre, als ich ihr die Geschichte erzählte. Die Heißmangel tauchte auch in meinen Träumen auf, und da Alexa jeden Sonntag zur Kirche ging, waren der Kasten und die Kurbel auf dem Kirchturm, und die Steine im Kasten drohten herabzustürzen, gerade als Alexa auf das Portal zuschritt. Unsere Familie ging nie zur Kirche, aber im Traum war ich da und rechtzeitig zur Stelle, sah das drohende Unglück und sprang so schnell auf Alexa zu, dass ich sie unter den polternden Steinen wegreißen konnte und wir beide in den Mittelgang fielen, wo wir uns eng umklammert hielten.
    Das war auch schon in Wirklichkeit passiert, denn wenn meine Mutter nicht da war, durften Dagi und ich zu ihr ins Bett, wo sie uns zum Einschlafen Märchen vorlas. Wenn die Märchen schrecklich waren, zum Beispiel von Rübezahl handelten oder von schrecklichen Drachen oder Schlangen und Dagi dann zu weinen anfing, tat ich ebenso ängstlich, bibberte so gut ich bibbern konnte und klammerte mich eng an Alexa. Sie roch nach Schmalz, und Schmalz war einer meiner Lieblingsaufstriche.
    Wenn ich mich so anklammerte, heulte Dagi noch lauter, so laut, dass Alexa mich nicht mehr klammern ließ und streng sagte: »Na, willst?!« Sie meinte damit zwar: Na, willst du das mal lassen!, aber die Verkürzung gefiel mir viel besser und motivierte mich, nicht locker zu lassen.
    Meine böse Schwester erreichte schließlich, dass ich gar nicht mehr zu Alexa ins Bett durfte. Meist schaffte sie es schon mit ihrem Geschrei, doch wenn das nicht reichte, griff sie zu handfesteren Mitteln, zum Beispiel zu der faustdicken Lüge, ich hätte sie getreten.
    Ich sagte dann: »Ich kann dich gar nicht treten, ich stehe viel zu weit weg.«
    »Der hat mich gekniffen!«, besserte sie dann nach und erreichte immer irgendwie ihr Ziel.
    Was blieb mir in solchen bitteren Momenten anderes übrig, als in die Speisekammer zu gehen, am Griebenschmalz im Steintopf zu schnüffeln oder in meinem Bett darüber nachzudenken, wie ich durch »einen Sieg auf ganzer Linie« meine Schwester vernichten könnte, wie mein Vater es ausgedrückt hätte. Sie wenigstens bei meiner Mutter

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