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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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könnte.
    Traf es sich mal, dass beide, mein Vater und Onkel Otto, mit uns Kindern an einem Tisch saßen, kam vom Onkel seltsamerweise nie ein Ton. Er überließ dann alles Vater. Er übernahm dessen Stelle nur, wenn der, wie heute, nicht da war. Meine Mutter, Tante Eva und auch Tante Kläre schienen das ganz in Ordnung zu finden und sagten dazu nie ein Wort.
    Bei diesen Hauskonzerten strickte Tante Kläre nicht, weil die Nadeln Onkel Otto und meinem Vater zu laut klapperten. Sie nutzte diese Hauskonzerte, um Strümpfe auf einem Stopfpilz zu stopfen.
    Beim letzten Besuch der beiden besprach meine Mutter mit ihnen einen Gegenbesuch in Stettin Anfang des Herbstes. Ich wehrte mich dagegen, weil ich lieber nach Drewitz zur Ernte gefahren wäre, besonders weil es mir inzwischen gelungen war, Pauls Interesse für das Leben auf Drewitz zu gewinnen. Ich wollte ihm die Schwalben zeigen, die sich vor ihrem Abflug in den Süden in großen Mengen auf den Leitungsdrähten versammelten, wo sie dicht beieinander saßen, bis sie eines Tages wie auf ein Kommando hin verschwanden. Ruthchen, die alles über die Vögel wusste, sagte: »An Mariä Geburt ziehen die Schwalben furt.« Wenn sie auch dieses Jahr recht hätte, wären wir zu der Zeit gerade in Stettin. Ich hatte Paul nicht nur von den riesigen Schwalbenversammlungen erzählt, sondern auch beschrieben, wie das Getreide geerntet wurde, wie man dengelte, wie die Kartoffeln und die Rüben eingebracht wurden, wie das Erntefest ablief und ihm vorgemacht, wie alle in der Kornscheune tanzten. Blitzschnell konnte er nicht bloß die Melodien, sondern auch die Texte – Siehst du woll, da kimmt er, lange Schritte nimmt er. Siehst du woll, da kimmt er schon, der besoff’ne Schwiegersohn. In der Ecke steht er, seinen Schnurrbart dreht er. Sein’ Schnurrbart muss er drehen, wenn er will zum Mädchen gehen. Von meiner Mutter ließ er sich die Polkaschritte dazu zeigen, und wir beschlossen, dass er es mir auch beibringen würde. Beim Erntefest wollten wir beide dann zusammen tanzen.
    Das alles sollte nun nicht sein. Ich war sehr traurig, aber meine Mutter ließ sich nicht umstimmen, und so saßen wir zur schönsten Erntezeit in der Reichsbahn nach Stettin.
    Nach unserer Ankunft war ich ziemlich hungrig und freute mich, dass Tante Kläre für uns Kartoffelsalat mit Spiegeleiern gemacht hatte. Sie schien sehr glücklich, dass wir gekommen waren, streichelte immer wieder mein Haar und war bereit, mir ihr Ei abzugeben. Natürlich protestierte Dagi und maulte, sie wolle dann auch ein Ei mehr, aber meine Mutter sagte, sie sei noch zu klein für zwei Eier und außerdem zu müde, um noch so viel zu essen. Dagi hasste es, wenn sie hören musste, dass sie noch zu klein für irgendetwas war und konnte dann sehr zornig werden. Meine Mutter nahm sie kurzerhand und brachte sie ins Bett. Onkel Otto rief Dagi zum Trost nach, dass er uns am nächsten Tag die Stadt zeigen würde und er wisse auch, wo es Schwäne gäbe.
    Dagi interessierte das die kalte Bohne, sie quäkte weiter und schrie wütend, ich will nicht in die Stadt. Außerdem hasste sie Schwäne, weil die für sie wie unser Ganter Cerberus aussahen, von dem sie einmal gebissen worden war.
    Dagi hätte einen Besuch bei den Schwänen sicherlich dem vorgezogen, was am nächsten Tag auf uns wartete, hätte sie es vorher gewusst. Schon nach dem Frühstück heulten die Sirenen. Dagi und ich hatten keinen Schimmer, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Uns war etwas in solcher Lautstärke noch nie in die Ohren gefahren. Zuerst war es ein prall anschwellender Ton, dann gesellten sich weitere Sirenen aus anderen Stadtteilen dazu, und zuletzt blähte es sich zu einer Sirenen-Symphonie auf, die der Wind über alles hinweg trug, in jedes Haus, in jedes Ohr und in jedes Herz. Hin und her, an- und abschwellend.
    Tante Kläre, die nicht nur große Ohren hatte, sondern auch gut hören konnte, wurde vollkommen nervös, redete in einem fort vor sich hin und ging solange im Wohnzimmer auf und ab, bis meine Mutter sie nahm, auf einen Stuhl in der Ecke setzte und sagte: »Bleib hier, wir sind gleich fertig und nehmen dich dann mit in den Luftschutzkeller.«
    Tante Kläre tastete aufgeregt ihre Locken ab und meinte, es werde schon nichts passieren, aber einen Keller mit so vielen Leuten überlebe sie auf keinen Fall.
    Onkel Otto und Tante Eva begannen abwechselnd und immer wieder »Tempo! Tempo!« zu rufen. Wir sollten uns anziehen und einpacken, was wichtig war.
    Mir war

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