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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Finger in der Butter, wie sie sie probierte, wie sie sie schmeckte, als würde sie den Lamellen auf ihrer Zunge lauschen, ihr überraschtes Aufjuchzen, ihre strahlenden Augen, durch die das Blau des Himmels auf mich zufloss, aber nicht als Himmel, sondern als himmlische Mami. Nie werde ich vergessen, wie entzückt ich war, als sie dann sachlich und kühl, aber mit der höchsten Anerkennung verkündete: »Ja, stimmt, tatsächlich, das ist Butter!«
    An den darauffolgenden Tagen beschrieben wir uns jeden Abend im Bett, was wir mit der Butter alles kochen und backen könnten. Das Kochen, wenn Dagi bei ihren Puppen war oder schon im Bett sein würde. Dann das gemeinsame Essen mit den wiederholten fachgerechten Urteilen: »Ohne Butter würde das nicht so schmecken«, oder: »Vielleicht habe ich etwas zu viel Butter genommen, aber da sie uns vom Himmel gefallen ist …« Und ich: »Die ist nicht vom Himmel gefallen, ich habe sie gerettet.«
    »Ja, mein Lieber.« Streicheln über meinen Kopf.
    Abends im Bett wiederholten sich mir die Worte, als wären es Fähnchen an einem Brummkreisel: Die Liebe und die Butter ist das Lächeln meiner Mutter. Die Worte wiederholten sich, ich musste sie nur drücken und drehen, immer wieder aufpumpen, sodass sie schneller flogen, bis sie in einem einzigen Lied aufgegangen waren, das ganz Swinemünde erfüllte.

11. KAPITEL
    W
    enn die Stettiner zu Besuch waren, gab es abends Hausmusik, auch wenn mein Vater in Dresden war, denn meine Mutter wusste immer jemand, der ihn ersetzen konnte. Manche hatten gerade Urlaub oder eine schwere Verletzung, die erst heilen musste, wie dieser Oberleutnant Eberhard von Krabben, der von den Ersatzgeigern zwar nicht am besten spielte, aber dessen Spiel einen gewissen Charme hatte, wie meine Mutter meinte. Dagi wurde vorher immer ins Bett gebracht und mir war schon zum Abendbrot ein weißes Hemd angezogen worden. Tante Kläre, die aus Stettin mitgekommen war, bestand darauf, mich noch einmal nass zu kämmen, obgleich sie das schon vor dem Essen getan hatte.
    Dieses letzte Mal sang meine Mutter nicht, sondern Dorothea Schattner kam von unten herauf, packte ihre zwei Mädchen auf das Sofa, wickelte sie in eine Decke, stopfte ihnen die Kissen zurecht, stellte sich neben das Klavier und sang Schubert-Lieder. Paul, den neuerdings alle Pauli nannten, setzte sich neben mich auf einen Stuhl. Er trug eine blaue Hose, einen gelben Pulli mit V-Ausschnitt und eine braune Krawatte. Sein etwas zu langes Haar fiel ihm in einer Locke über die Stirn und glänzte so hell, dass ich meinte, die Kerzen spiegelten sich in ihm. Ich sagte: »Du hast Kerzen im Haar.« Und er: »Eine Brandbombe.« Ich hatte meine Mutter vorher gefragt, warum sie nicht singe, wenn die Stettiner da wären, und ihre Antwort war, Dorothea Schattner sei die beste Schubert-Interpretin weit und breit.
    Wenn mein Vater dabei war, aber nicht spielte, weil er das Spielen vor Publikum denen überließ, die seiner Meinung nach dazu eher berufen waren, saß er mit übergeschlagenen Beinen in einem der Sessel. Die senkrechte Stirnfalte zwischen seinen dunklen Augenbrauen zeigte seine Konzentration. Jetzt, da er nicht hier war, hatte Onkel Otto seinen Platz eingenommen – die dicken Pranken auf den Lehnen, das wuchtige Kinn erhoben und die Augen halb geschlossen. So lauschte er der Musik. Tante Eva, seine zierliche Frau mit dem Bubikopf, saß weiter hinten auf einem der Esszimmerstühle. Wenn ein Stück zu Ende war, klatschte mein Vater normalerweise als Erster, leise und bescheiden, aber heute war es Onkel Otto, der so richtig in die Pranken ging und den Ton für die anderen vorgab, die dann versuchten, es ihm gleich zu tun. Man hätte meinen können, dass Onkel Otto sich dabei sehr anstrengte, weil sein Kopf puterrot wurde, aber er hatte diese Farbe auch sonst. Besonders rot war seine große, fleischige Nase, fast schon violett, und jedes Mal, wenn ich ihn ansah, brauchte ich eine Weile, um zu begreifen, dass das sein natürlicher Teint war und nicht ein Zeichen für Aufgeregtheit. Einem heftigen Unwetter kam es gleich, wenn er lospolterte, was er zu jeder Gelegenheit tat, selbst wenn meine Mutter zugegen war. Bei Tisch knurrte er öfter »Sitz gerade!« Dabei knuffte er mir mit seiner großen Faust in den Rücken. Es waren dieselben Aufforderungen, die auch von Papa kamen, wenn er zu Besuch war. »Rede nicht mit vollem Mund!«, »So spricht man nicht!«. Es war eine Liste kurzer Befehle, die ich endlos verlängern

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