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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Luftschutzbunker aufzusuchen, wir müssten das Risiko auf uns nehmen und hier in den Keller gehen, bis Entwarnung gegeben würde.
    Meine Mutter wollte nicht gerne im Haus verschüttet werden und fragte, ob es da nicht besser wäre, sich auf der Straße aufzuhalten.
    »Da fliegt immer irgendwas rum, das uns treffen kann, das hat keinen Zweck«, sagte Onkel Otto.
    Ich hörte ein leises, aber sehr seltsames Geräusch. Es klang, als wollte eine Katze miauen, brächte aber nur ein klägliches Fiepen heraus. Ich richtete mich auf, doch es war stockfinster, und ich konnte nichts entdecken. In diesem Moment flammte Onkel Ottos Zündholz auf. Auch er wollte nachschauen, was für ein Fiepen das sein könnte. Er beschrieb mit dem brennenden Hölzchen einen Kreis, doch es war nichts zu sehen. Schließlich stellten wir fest, dass es Dagi war, die diese Geräusche machte. Ich strich mit einem Finger über ihre Wangen, sie waren trocken.
    »Es ist nix«, sagte Onkel Otto.
    Ich überlegte, ob sie mit ihrer Angst die schwarzen Bomber anlocken könnte. Vielleicht hatten die Nachtjäger in ihrer spitzen Nase ein Suchgerät, das die Angst von Kindern aufspürte. Ich sagte das nicht, aber mir war klar, dass man keine Angst haben sollte. Man durfte sie einfach nicht haben. Dagi schien das nicht zu wissen, oder es war ihr egal, dass sie uns durch ihre Angst gefährdete, jedenfalls musste man immer auf sie aufpassen, und deswegen hatte meine Mutter auch keine Zeit mehr für mich.
    Durch die geplatzten Fenster war die Wohnung sehr luftig geworden, und es schien Onkel Otto nun doch angeraten, das Haus zu verlassen und zu versuchen, noch in den Luftschutzbunker zu kommen.
    Als wir auf die Straße kamen, gab es neuen Alarm. Das Pflaster glänzte, es hatte geregnet. Der feuchte Himmel rötete sich von Bränden, die nach den Explosionen wie Blüten aufgingen. Nicht weit entfernt kam eine Bombe nieder und sprengte die Fenster des Hauses, an dem wir vorbei eilten. Splitter trafen meine rechte Gesichtshälfte. Bis auf Dagi bemühten wir uns, eine strenge Marschordnung einzuhalten, was uns auch während des Alarms und bei der ersten Flugformation gelang, aber wenn die Bomben herunter sausten, schaltete sich ein höherer Schrecken ein, dann schrie und rannte in uns und um uns alles durcheinander. Tante Eva stolperte in mich hinein. Wir fielen alle hin. Meine Mutter kroch zu Dagi und legte sich schützend über sie, sodass sie kein Unheil treffen konnte, das nicht zuvor meine Mutter vernichtet hätte. Voller Verachtung wandte ich mich ab und schaute zum Himmel.
    Ich hatte keine Angst. Wenn ich fliegen könnte, würde ich dem Unheil entgegen fliegen. Dabei bemerkte ich den starken Wind, der die Wölken und den Qualm davon trieb, hörte das Brummen eines neuen Schwarms, war erstaunt, dass der Himmel plötzlich sternenklar war und sah, wie eines der Insekten vom Licht eines Scheinwerfers aufgespießt wurde. Es schwebte in der Luft, es schien sich nicht weiter zu bewegen, weil der Scheinwerfer es festhielt, während kleine Fünkchen drum herum tanzten. Ich biss die Zähne zusammen, und das Insekt zerplatzte. Es löste sich in weiße und rote Punkte auf, die in der Nacht verlöschten. Getroffen! Triumph erfüllte mich.
    Eine neue Bombereinheit näherte sich, Onkel Otto gab den Befehl, zum Haus zurück zu spurten. Wir schafften es nicht ganz und hockten uns in einen anderen Hauseingang. Sie kamen jetzt in Wellen. Das Summen zeigte nicht an, was sie taten; es war dunkel, gleichmäßig und beruhigend. Es war nicht mehr das ansteigende Heulen der Sirenen oder Pfeifen der niedergehenden Bomben, es war eher das sommerliche Brummen von Hummeln, wenn ich im Gras lag. Es täuschte, es war so, als wollten sie sagen, wir brummen nur ein bisschen herum, wir reißen niemandem die Köpfe, Arme und Beine ab.
    Ich lag im Hauseingang und dachte das, als sie noch fern waren. Aber als sie ankamen und sich über uns ein Christbaum wie ein rot glühendes Seeungeheuer entfaltete, das den Grund des Meeres nach Menschenmuscheln absucht, zerriss meine Ruhe. Ich wollte nicht gesehen werden und flüchtete weit hinein in den Hauseingang. Später erklärte Onkel Otto, wir sollten zukünftig solcher »Vogel-Strauß-Politik« widerstehen. Er meinte, im Hauseingang zu hocken, böte keinen Schutz vor den Aasgeiern.
    Nach diesem letzten Angriff, bei dem die Abwürfe weiter entfernt, aber immerhin noch so schwer waren, dass sie den Boden unter uns zum Beben brachten, wurde es ruhig am

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