Die Malerin von Fontainebleau
da mache ich mir keine Illusionen, und so gerne ich hinausschreien möchte, was ich von der Kirche und ihren verderbten, allzu weltlichen Vertretern halte …« Er unterbrach sich und sah sie ernst an. »Ich möchte nicht in einem Kerker verrotten oder wie dein Bruder auf einem Folterstuhl enden. Soweit ich das beurteilen kann, ist uns Menschen nur dieser eine Körper gegeben, und das Paradies ist mir eine zu vage Vorstellung, als dass ich mich darauf verlassen würde.«
Luisa musste lächeln. »Monsignor Sampieri hätte seine Freude an dir. Wofür lohnt es sich zu sterben?«
»Ich kann mir keinen lohnenden Grund vorstellen, aber ich könnte nicht ohne Ehre leben.«
»Ehre? Meinst du gesellschaftliches Ansehen?« Sie war fast enttäuscht.
Er schüttelte den Kopf und legte sich die rechte Hand aufs Herz. »Ich habe Ansprüche an mich selbst, moralische Werte, die ich von anderen erwarte und die ich selbst niemals aufgeben würde. Wenn ich dagegen verstoßen müsste, wäre das Ehrverlust für mich. Damit könnte ich nicht leben.«
Ihr stockte der Atem, und sie warf einen schnellen Blick
zur Tür, doch es war niemand zu sehen. »Das ist die höchste Stufe der Häresie! Du meinst, du würdest deinem Leben mit eigener Hand ein Ende setzen, wenn du deine Ehre verlieren würdest?«
»Das würde ich tun, Luca. Selbstmord ist die höchste Form von Freiheit und Selbstbestimmung. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?«
»Das Leben ist heilig«, sagte sie matt.
»Für die Kirche begehen Selbstmörder eine Todsünde und fallen der ewigen Verdammnis anheim. Ich empfehle dir Platons Nomoi als Lektüre. Ich besitze die Übersetzung von Marsilio Ficino. Seneca und die Stoiker gestehen dem Menschen eine grundsätzliche Verfügungsgewalt über ihr Leben zu. In ihren Augen ist es eine moralische Pflicht, Selbstmord zu begehen, wenn die Umstände es nicht mehr erlauben, ein Leben in Tugendhaftigkeit und Würde zu führen. Ich bewundere Männer wie den Philosophen Empedokles, der seinem Leben mit einem Sprung in den glühenden Ätna ein ruhmvolles Ende setzte.«
Luisa schwieg. Sie kam sich dumm vor, denn von Empedokles hatte sie noch nicht gehört, und auch die antiken Philosophen waren ihr eigentlich nur vom Namen her bekannt. Noch nie hatte jemand über die unterschiedlichen Denkmodelle mit ihr diskutiert.
Rosso nahm ihre Hand. »Es gibt so vieles, was wir nicht verstehen. Wichtig ist, dass wir nie aufhören zu fragen. Der Weg deines Bruders ist nicht deiner, Luca. Du musst deinen eigenen finden.«
»Armido will Aleyd heiraten. Ich habe Angst um ihn!« Sie hatte Rosso von der Liebe ihres Bruders zu einer Waldenserin erzählt.
»Das ist allein seine Entscheidung. Denk an deine Arbeit. Wo sonst kannst du malen?«
Sie starrte auf die leere ovale Fläche, auf der die Semele unter ihren Pinselstrichen Gestalt annehmen sollte. Und während sie sich die Züge der sterbenden Geliebten vorstellte, war ihre Entscheidung gefallen.
Nichts! Keine verbotenen Bücher und auch keine Dokumente! Enttäuscht kroch Didier unter dem Bett hervor und klopfte sich den Staub von seinem Wams. Irgendwo musste der Ketzer doch etwas Verbotenes versteckt haben! Ein Beweis würde ihm sicher noch ein Goldstück einbringen. Was Geld doch für einen Unterschied machte! Selbstgefällig strich er über das neue Wams und den Gürtel mit der glänzenden Schnalle. Eine silberne Schnalle war etwas, wovon sein Vater ein ganzes Leben lang nur träumen konnte. Der kleine Hof warf gerade genug ab, dass die Familie überleben konnte. O nein, dahin zurückkehren wollte er nicht, sein Bruder konnte sich mit dem Viehzeug und dem kargen Acker plagen. Jedes Mal, wenn er die Lavendelsträuße verteilte, erinnerten sie ihn an die vielen Sommer, die er auf Knien in den staubigen Furchen der Lavendelfelder verbracht hatte. Skorpione und Schlangen hatten ihn gebissen, und ein Finger seiner linken Hand war taub geblieben. Verfluchtes Gewürm!
Er sah sich in dem kargen Raum um. Die Paserini-Brüder lebten schon lange hier, jedenfalls der Ältere, und doch sah es kaum wohnlicher aus als bei jemandem, der auf der Durchreise war. Nun, irgendwie waren diese Herren Künstler ja auch nur Reisende. Bessere Vagabunden in seinen Augen. Doch er musste zugeben, dass sie Fortschritte machten mit der Galerie und den königlichen Wohnräumen. Das Schloss verdiente sich langsam seinen Namen als königlicher Wohnsitz. Der ganze Aufwand mit dem Stuck wollte ihm jedoch nicht
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