Die Malerin von Fontainebleau
Galerie aufzubauen, und Diener fegten Mörtel und Holzspäne zusammen. Matteo stand auf einer Leiter und warf den Mörtel mit lockerem Schwung aus dem Handgelenk gegen die Wand. Ein Strich genügte, und der Putz lag ohne Blasen glatt auf. »Guten Morgen, Meister Rosso!«
»Guten Morgen, Matteo! Gute Arbeit. Wann bist du fertig?« Rosso sah zu seinem Gesellen auf das Gerüst hinauf.
»Dies ist die letzte Schicht vor dem Feinputz. Eine gute Stunde würde ich sagen.«
Rosso nickte und ging unter dem Gerüst hindurch in das Kabinett auf der Nordseite der Galerie. Im Kamin brannte kein Feuer. Die ovale Fläche darüber wartete noch auf ihre Bemalung, und die raue Wand wirkte nackt. Rötliche Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster ein und tauchten den kleinen Raum in intimes Licht.
»Dieser Raum ist perfekt für die Semele . Stell dich neben mich.«
Sie gehorchte, und Rosso drehte sie so, dass sie die Wand über dem Kamin und durch die Galerie hinüber ins andere Kabinett sehen konnte. Dabei ließ er seine Hand wie selbstverständlich auf ihrem Nacken ruhen.
»Dort die Danaë , deren Engel du malen wirst.« Er senkte seinen Kopf dicht an ihr Ohr. »Und wenn du es gut machst, überlasse ich dir einen Teil der Semele .«
Sie zitterte und wusste nicht, ob es an seinen Lippen lag, die ihr Ohr berührten, oder daran, dass er ihr zutraute, ein Fresko zu malen, das im Kabinett Seiner Majestät praktisch nur für die Augen des Königs und seiner auserwählten Gäste sichtbar war.
»Warum die Semele ?« Sie kannte den Mythos nicht.
»Danaë, die Jupiter als Goldregen zwischen ihren Schenkeln empfängt, verkörpert Wollust, die käufliche Liebe. Semele dagegen steht für die reine, selbstlose Liebe. Sie, die Tochter von Cadmus, dem Gründer Thebens, erwartet ein Kind von Jupiter. Juno ist rasend eifersüchtig auf die unschuldige Semele und rät ihr, Jupiter zu bitten, sie in seiner ganzen Göttlichkeit zu lieben. Nichts ahnend überredet Semele ihren Geliebten, der ihrem Liebreiz nicht widerstehen kann und sie als Gott liebt. Während des Liebesakts verbrennt Semele unter seiner göttlichen Kraft zu Asche.«
Er trat mit ihr vor den Kamin und entzog sie so den Blicken der Handwerker in der Galerie. Luisa stand vor Rosso und lehnte sich an ihn. »Er hätte es wissen müssen.«
»Er war ein Gott, aber auch ein Mann.«
»Und ihr Kind?«
»Merkur rettet das ungeborene Kind und näht es in Jupiters Oberschenkel ein. Dieses Kind wird einmal Bacchus, der Gott des Weines. Bacchus und Venus finden wir dann auf dem Gemälde an der östlichen Schmalwand.«
»Die Liebesgöttin und der Gott des Weines, Kind einer selbstlosen Liebe …«, sinnierte Luisa und stellte sich das Bild vor, auf dem die sterbende Semele sich ihrem Geliebten im Tode hingab.
»Sie soll Zärtlichkeit, Reinheit und Leidenschaft zugleich ausdrücken, und du wirst ihr diesen Ausdruck verleihen.« Rosso legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie aufmunternd. »Zweifle nicht an deinem Talent.«
»Aber der König wünscht sicher nicht, dass ich dieses Bild male.«
»Der König erhofft sich ein großartiges Kunstwerk, und wenn du es schaffst, wird er es lieben. Vergiss nicht, er hat deine Zeichnung gesehen und sie respektvoll gewürdigt.«
»Aber er müsste es ja auch nicht erfahren …« Luisa fühlte sich in ihrer Verkleidung zwar sicher, doch letztlich war es eine Täuschung, und wenn herauskam, dass sie den König betrogen hatte, wäre sie auch vor seinem Zorn nicht sicher.
»Du hast Angst?«
»Nicht vor dem Malen, aber vor Luca … Was ist, wenn jemand entdeckt, dass ich eine Frau bin?«
Rosso trat in die Raummitte und schätzte die Wandverhältnisse ab. »Den König würde es amüsieren, glaube ich. Seinen Gegnern wärst du ein Trumpf in den Händen. Die Theologen der Sorbonne verbieten Frauen das Lernen. Du
würdest gegen alle bestehenden Regeln der heiligen Kirche verstoßen.«
»Warum bist du nicht Protestant? Du liest die Philosophen der Antike und hinterfragst das Bestehende.«
Der Künstler ging zum Fenster und öffnete es, um frische Luft in den kleinen Raum zu lassen. »Ah, ich hasse die Enge. Auch hier.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Aber die Gedanken sind frei, ist es nicht so?«
»Schon, nur ist es nicht recht, dass man für das Aussprechen seiner Gedanken gefoltert und getötet wird.«
»Nein, aber die Welt lässt sich nicht in einem Tag verändern, und ich bin Künstler, kein Revolutionär. Die Kunst braucht Mäzene,
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