Die Malerin von Fontainebleau
ihr verloren. »Verflucht, warum muss die Leiche ausgerechnet hier liegen. Das bringt nichts als Ärger. Aber wenn sie mir die Baustelle lahmlegen, mache ich ihnen die Hölle heiß!«
Luisa hatte die ganze Zeit über gegrübelt, woher sie den Toten kannte, und auf einmal war sie sich sicher. »Das ist einer von Primaticcios Leuten!«, sagte sie laut.
Der Baumeister horchte auf. »Was sagt Ihr da?«
»Meister Primaticcio arbeitet mit Stukkadoren aus den Niederlanden zusammen, und der da gehört dazu. Ich habe ihn mit Thiry gesehen.« Sie entsann sich der Gruppe um den vorlauten Thiry. Die Männer saßen auch beim Essen immer zusammen und rissen derbe Zoten auf Kosten anderer.
»Schau an. Ich habe Euch unterschätzt, wie es scheint. Vielleicht erledigt sich die Sache schneller, als befürchtet. Oder auch nicht …« Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte Le Breton an ihr vorbei Richtung Schloss. »Wo zum Teufel kommt der denn her?«
Luisa folgte seinem Blick und erstarrte. In Begleitung zweier Mönche kam Guy de Mallêt über den Hof geeilt. »O nein!« Sie stellte sich hinter den Baumeister.
»Eh, was habt Ihr denn?«
»Ich muss weg!« Sie drehte sich um und rannte davon, am Seeufer entlang, das noch unbefestigt war. Le Breton schrie, dass sie zurückkommen solle, doch Luisa rannte in Panik, bis sie außer Atem war und nichts mehr hörte. Als sie anhielt und sich umsah, stellte sie fest, dass sie bis zu den Häusern der Pächter am Waldrand gelaufen war. Keuchend stemmte
sie die Hände in die Hüften und wartete, bis ihr Herz ruhiger schlug. Wo kam Mallêt plötzlich her? Sie richtete sich auf und strich ihr Wams glatt. Dabei bemerkte sie, dass die Brustbinde sich gelöst hatte. Ein Hund bellte, und die Tür des einfachen Steinhauses wurde von innen geöffnet. Vor den Fenstern hingen schiefe Läden, die Öffnungen waren mit Wachspapier verhängt. Eigentlich hatte sie ihre Kleidung im Schutz der Bäume richten wollen, doch der Mann hatte sie bereits entdeckt und pfiff einen struppigen schwarzen Hund zurück, der knurrend um die Ecke geschossen war.
»Kommt Ihr vom Schloss, Monsieur? Braucht Ihr Kohl oder Äpfel? Wird Seine Majestät erwartet?« Der Bauer war noch nicht alt, doch sein zerfurchtes Gesicht sprach von einem harten und entbehrungsreichen Leben.
»Nein, nein. Ich …« Sie sah sich um, doch vom Schloss kamen keine Verfolger. Sie hatte schließlich nichts verbrochen! »Habt Ihr einen Schluck Wasser für mich?« Da sie sich mitten in der Fastenzeit befanden, fragte sie nicht nach Wein.
Der Bauer ging ins Haus und kam mit einem Becher zurück. Dann ging er zu einem Brunnen, der hinter Bäumen verborgen war, und schöpfte frisches Wasser. Quellwasser wäre Luisa lieber gewesen, doch sie trank einen Schluck und gab den Becher zurück. »Danke. Ich mache nur einen Spaziergang.«
Der Bauer sah sie zweifelnd an. Spaziergänge waren etwas für die Reichen, die nicht arbeiten mussten. In seinem Leben war für solcherlei Firlefanz keine Zeit. »Ihr geht allein in den Wald, ohne Waffe? Soll mein Sohn Euch begleiten? Er ist fünfzehn und kräftig.«
Luisa hob das Kinn. »Bemüht Euch nicht. Ich komme schon zurecht.« Sie nickte und folgte einem Pfad, der um das Haus herum in den Wald führte. Als sie jedoch inmitten der dichten Tannen und Laubbäume stand, die erstes Grün
trieben, und gar nicht weit von ihr ein Wolf heulte, bereute sie ihre Entscheidung. Tapfer ging sie weiter, bis sie meinte, weit genug von den Häusern entfernt zu sein. Rasch legte sie den Gürtel ab, zog Wams und Hemd aus und wickelte das Tuch fest um ihre Brüste. Bei jedem Rascheln und Knacken im Unterholz zuckte sie zusammen. Wie oft schon hatte sie sich gewünscht, dass das Versteckspiel endlich ein Ende hätte. Allein die Angst, wenn sie ihre Monatsblutung hatte und heimlich die schmutzigen Tücher entsorgen musste. Sie schnallte den Gürtel wieder fest und machte sich auf den Rückweg. Als sie aus dem Wald trat, sah sie einen Reiter vor dem Pächterhaus. Der Bauer deutete in ihre Richtung. Sofort drehte Luisa sich um und lief zurück. Dem Pfad durfte sie nicht folgen, dann holte der Reiter sie innerhalb kürzester Zeit ein. Also verließ sie den Weg und schlug sich durch dichtes Unterholz, ohne auf Zweige zu achten, die ihr ins Gesicht schlugen. Der Waldboden transportierte das Geräusch von Pferdehufen.
»Heda! Luca Paserini! Im Namen des Königs befehle ich Euch herauszukommen. Wir brauchen Eure Aussage zur Leiche aus dem See.
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