Die Malerin von Fontainebleau
Terrasse spazierte und mit einem Boot zum Inselpavillon übersetzte. »Wie lange, denkt Ihr, braucht es noch?«
»Eineinhalb Jahre, allerdings nur für den Pavillon, der Rest …« Er ließ den Blick über die enormen Ausmaße der Schlossanlage gleiten. »Das weiß Gott allein.«
Plötzlich ertönten Schreie am Seeufer. Der Baumeister runzelte die Stirn. »Was haben diese Tölpel schon wieder angestellt? Erst vor wenigen Tagen habe ich einen guten Mann verloren, weil ein Seilzug gerissen ist.«
Ein verschwitzter Arbeiter kam heraufgelaufen. »Meister! Kommt mit. Da unten liegt einer im Wasser!«
»Einer von unseren Leuten?« Mit energischen Schritten eilte Gilles Le Breton hinter seinem Arbeiter den Hang hinunter. Luisa folgte ihm.
»Weiß ich nicht. Ich sollte Euch nur holen.« Der Mann wischte sich die Stirn und machte ihnen den Weg zum Ufer frei.
Fünf Männer standen im Uferschlamm und bemühten sich, einen Körper aus dem Wasser zu ziehen. »Er sitzt fest!«, rief einer und zog am Hemd des Toten.
»Der ist nur so schwer, weil er schon lange hier liegt. Na los, auf drei – und dann raus mit ihm!« Mit vereinten Kräften schafften sie die aufgedunsene Leiche auf den trockenen Ufersaum.
Ein Arbeiter bekreuzigte sich. »Gott helfe ihm.«
Der Tote trug ein ehemals weißes Hemd, das der See braungrün gefärbt hatte. Ein breiter Ledergürtel hielt eine Arbeitshose, die Füße waren nackt. Der Mann war groß und von einiger Leibesfülle. Luisa betrachtete die struppigen hellen Haare und die groben Gesichtszüge und überlegte, woher ihr die Züge bekannt waren.
Gilles Le Breton schien unbeeindruckt. »Weiß jemand, wer er ist?«
Die Bauarbeiter schüttelten die Köpfe. Einer meinte: »Schwer zu sagen, Meister. Der liegt schon länger im Wasser.«
»Das sehe ich auch. Trotzdem, lasst alle einen Blick auf ihn werfen. Habt ihr dem Schlosskämmerer Bescheid gegeben?«
»Nein, Meister. Ihr seid der Erste.« Der Arbeiter, der sie geholt hatte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Das ist nicht gut, gar nicht gut!«
Le Breton verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist, Vosy? Spuck’s aus!«
Der Mann nahm seine Lederkappe vom Kopf und knetete sie zwischen den Händen. »Der Tote hier auf der Baustelle bringt Unglück!«
Ein zustimmendes Raunen kam von den umstehenden Arbeitern. Das Gesicht des Baumeisters verfinsterte sich. »Unsinn! Ihr seid doch alle gläubige Christen, böse Vorzeichen
sind etwas für Dumme! Außerdem liegt der Tote nicht auf der Baustelle. Ihr habt ihn aus dem See gefischt, oder nicht?«
Betreten sahen die Männer zu Boden. Luisa wusste, dass Aberglaube zu großen Komplikationen beim Errichten von Gebäuden führen konnte.
Vosy sagte: »Meister, wir wissen aber nicht, wo er gestorben ist, und vor allem, woran er gestorben ist. Vielleicht hat er eine schlimme Seuche!«
»Seuche? So sieht er mir nicht aus! Der hat eher zu viel gegessen und getrunken!« Le Breton beugte sich über den Leichnam und riss das Hemd auf. Zum Vorschein kam ein aufgeblähter, aber unversehrter Leib. »Umdrehen!«
Widerwillig drehten zwei Männer den massigen Körper auf den Bauch. Weder Gesicht noch Hals hatten Verletzungen aufgewiesen, doch als Le Breton den Rücken des Toten entblößte, wurde eine Stichwunde unterhalb des linken Schulterblatts sichtbar. Angesichts der aufgetriebenen Haut und der klaffenden Wunde wandte Luisa den Kopf ab und presste sich ihre Faust in den Mund.
»Die Seuche können wir dann wohl ausschließen. Der Kerl ist erstochen worden. Vosy, wenn du den Kämmerer holst, geh gleich bei den Mönchen vorbei. Sie sollen sich um den Toten kümmern.« Der Baumeister erhob sich und sah die Herumstehenden fest an. »Was gibt es noch zu glotzen? Geht wieder an eure Arbeit! Wenn allerdings einer von euch den Mörder kennt, könnt ihr’s mir natürlich sagen.«
Sofort wandten sich die Männer ab und kümmerten sich mit übergroßem Eifer um die liegen gebliebene Arbeit. Luisa kämpfte den Brechreiz nieder und räusperte sich.
Le Breton stand breitbeinig vor dem Leichnam und schüttelte den Kopf. »Diese Narren! So viel Kraft und so viel Unverstand.« Plötzlich sah er Luisa an. »Ihr seid ganz grün im
Gesicht. So empfindlich? Nun, Ihr scheint ein besonders zartes Bürschlein zu sein. Künstler? Ts, was bringt Ihr überhaupt zustande?«
»Fresken!«, stieß sie hervor. »Ich male Fresken und bin Stukkador, genau wie mein Bruder.«
»Ach ja?« Le Breton hatte das Interesse an
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