Die Malerin von Fontainebleau
durchaus für liberal und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen, doch nur bis zu einem gewissen Grade. Sobald es um das Eindringen in den Machtbereich Seiner Majestät ging und zu viel königliche Milde den Lilienthron wanken ließ, wurden die Zügel wieder angezogen. Wer die Grenzen überschritt, innerhalb derer es sich gut in Franz’ Reich leben ließ, der hatte die Konsequenzen zu tragen. Um Lucas willen hoffte Rosso, dass Armido sich dieser Grenzen bewusst war, denn letztlich war der Mann, der ihm hier so freimütig gegenübersaß, ein Monarch, ein Fürst, der seine Herrschaft mit allen Mitteln sicherte. Vielleicht war Baldassare Castigliones Libro del Cortegiano
gerade in Mode, doch Niccolò Machiavellis Il Principe war zeitlos. Rosso sah sich dem elegant parlierenden König gegenüber, der sicher alle Eigenschaften des cortegiano verkörperte, doch um seinen Thron zu verteidigen, bedurfte es der Ruchlosigkeit und Kompromisslosigkeit eines principe . Da machte sich der Maler keine Illusionen.
Rosso gab dem König die Münze zurück. »Eine gute Arbeit. Wer hat sie entworfen?«
»Cellini. Nicht gerade Euer Freund, ich habe davon gehört, aber der Mann ist ein ausgezeichneter Goldschmied.« Franz ließ die Münze auf dem Tisch liegen. »Behaltet sie. Das ist eine kleine Anzahlung für ein neues Werk, das ich mir von Euch wünsche. Ich möchte ein Gemälde, großformatig, gewaltig, originell – ich weiß, das seid Ihr immer, versteht mich richtig -, ich möchte ein Bild mit Kaiser Octavian und der tiburtinischen Sibylle. Die Heilige Jungfrau hält den neugeborenen Christus auf dem Arm, und darin verwoben ist die königliche Familie, was sage ich, der gesamte Hofstaat! Pferde, Tempel, das ganze Drumherum …«
»Sire, das wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Galerie …?«
»Ah, mein Guter!« Franz stand auf und klopfte Rosso, der ebenfalls aufgestanden war, auf die Schulter. »Ihr habt mein vollstes Vertrauen, dass Ihr beides bewältigen werdet. Wann, denkt Ihr, könnte ich einen ersten Entwurf sehen?«
Rosso überschlug die Zeit, die er für all die anderen Nebenaufträge eingeplant hatte, doch die mussten warten. Wenn der König eine neue Idee hatte, wollte er so bald wie möglich eine erste Skizze sehen. »Lasst mich nach Fontainebleau zurückkehren, und ich sende Euch zwei Wochen später einen Entwurf.«
»Das ist ein Wort!« Gemeinsam mit dem Maler verließ der König den Saal. Vor der Tür wartete bereits sein Leibdiener,
der ihn in seine Gemächer geleiten würde. »Die Königin?«, fragte er.
Der in blauen Samt gewandete Diener verneigte sich. »Hat sich bereits zur Ruhe begeben, Eure Majestät.«
»Madame d’Étampes?«
»Erwartet Euch.«
Der König straffte die Schultern, was seine stattliche Körpergröße betonte, und wandte sich an Rosso. »Zwei Wochen. Ich erwarte Eure Arbeit! Reist Ihr morgen früh ab?«
»Ja, Sire, es sei denn, Ihr habt noch weitere Aufträge für mich?«
Franz lächelte. »Nein, geht nur, mein lieber Rosso. Ich kann förmlich spüren, wie unruhig Ihr bereits seid, weil Ihr Euch nach Fontainebleau sehnt. Wäre ich nicht zum Herrscher geboren worden, ich denke, ich wäre gern Dichter oder Gelehrter an meinem Hof gewesen.«
»Ihr hättet Sonette zum Ruhme Frankreichs verfasst?«
»Eher über das Ritterideal und die Liebe. Wie heißt es so trefflich bei Chastellain: Honneur semont toute noble nature, d’aimer tout ce qui noble est en son estre. Noblesse aussi y adjoint sa droiture. «
»Die Ehre ermahnt jede edle Natur, alles, was in ihrem Wesen edel ist, zu lieben. So fügt der Adel seine Redlichkeit hinzu«, wiederholte Rosso das Zitat des burgundischen Dichters, der ihm nur so weit geläufig war, dass er von dessen Verehrung für die Antike und deren Helden wusste.
»Das bringt mich auf den erquicklichen Gedanken, für morgen Abend eine kleine Charade anzusetzen, um die preux aufleben zu lassen. Herrlich! Ihr habt mich wie üblich inspiriert, Meister Rosso. Zwei Wochen, vergesst es nicht!«
Rosso neigte leicht den Kopf und sah dem König nach, wie er leichten Schrittes auf das Gemach seiner Mätresse zusteuerte. Die preux, überlegte Rosso und nahm die wachhabenden
Knechte kaum wahr, die stumm auf ihren Posten verharrten, mussten die neun ritterlichen Helden sein, die in der französischen Literatur häufig vorkamen. Jetzt erinnerte er sich, dazu gehörten drei Heiden, drei Juden und drei Christen, also Cäsar, Alexander und Hektor, dann David, Josua und
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