Die Malerin von Fontainebleau
Teufel! Er ist der rechtschaffenste Mensch, den ich kenne!«
»Arnaud?«, hakte Armido voller böser Vorahnung nach. »Der Wirt vom ›Silbernen Greifen‹? Azizas Mann?«
»Ihr kennt euch? Ja, eben der. Die Schergen des Bischofs haben ihn und Aziza geholt und einer peinlichen Befragung unterzogen. Niemand weiß, ob sie noch leben. Meine Schwester lebt in Embrun und hat mich heute Morgen besucht. Sie hatte Arnauds Mutter zu sich genommen, aber die alte Frau ist gestern gestorben, und jetzt haben die Soldaten wohl auch Arnauds Haus angesteckt.«
Eine eisige Faust umklammerte Armidos Herz. »Weiß der Bischof, wo Sidrac mit seinen Leuten lebt?«
»Wieso?«
»Wir sind Vaudois.«
»Ihr auch? Aber …?«
»Eine lange Geschichte. Meine Frau lebt bei Sidrac und Suzanne. Glaubt Ihr, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte?« Atemlos sah Armido den Jäger an.
»Ich habe nichts gehört, aber ich war seit dem Morgen im Wald, und der Weiler liegt auf der anderen Seite.« Er wies in Richtung des versteckten Pfades. »Mann, lasst uns gehen!«
Mit den sicheren Schritten des Bergbewohners führte der Jäger, der sich als Martin Dufy vorstellte, Armido durch das immer unwegsamere Gelände. Armidos Geschichte begleitete er mit erstaunten Ausrufen. Schließlich traten sie zwischen den Bäumen hindurch und erklommen den Bergrücken. Jetzt gab es nur noch wenig Grün. Moose und Flechten waren die vorherrschende Vegetation. Dufy und Rufus erreichten das Plateau zuerst und schauten auf die andere Seite des Berges.
Die Haltung des Mannes ließ Armido befürchten, dass etwas geschehen war. Er zog das Pferd hinter sich her und stellte sich neben Dufy. Vor ihnen lag die zerklüftete Bergwelt der Dauphiné. Rechts und links ragten verschneite Gipfel auf, von den Tälern wuchs der Grüngürtel hinauf, ging in Waldflächen über, und unterhalb ihres Standorts befand sich ein kleinerer Ausläufer der Bergriesen, auf dessen Westseite der Weiler der Vaudois lag. Die hohen Fichten und Tannen, die die vier Häuser umgaben, waren deutlich zu erkennen.
»Was ist?«, sagte Armido. Er horchte in das Tal hinab, doch kein Laut war zu vernehmen. »Ich kann nichts hören.«
»Das ist es eben«, sagte Dufy. »Es ist zu still!«
Nur ein Habicht kreiste lautlos über ihren Köpfen. Dufy wandte sich nach rechts, wo sich ein steiniger Pfad zwischen Felsen und vereinzelten windgeprüften Fichten den Hang hinunterwand. »Gebt dem Pferd Zügel. Es weiß selbst am besten, wie es die Hufe setzen muss.«
Armido tat wie geheißen und folgte dem kundigen Jäger durch die raue Gebirgswelt. Allein hätte er sich diesen Abstieg nicht zugetraut. Sie brauchten eine halbe Stunde, bis sie auf einem Hügelrücken anlangten, von dem aus es wieder aufwärtsging. Nach mehr als einer Stunde erreichten sie das Plateau, auf dem sich der Weiler befand. Die Sonne stand inzwischen so tief, dass das Licht gerade ausreichte, um die
nähere Umgebung zu erkennen. Armido hatte sein Wams abgelegt und wischte sich mit dem Hemdsärmel über die verschwitzte Stirn. »Hätte ich den anderen Weg genommen, wäre ich noch nicht hier.«
Dufy ging stetigen Schrittes die letzten Meter hinauf. Die Anstrengung war ihm nicht anzumerken. »Nein. Die Dunkelheit hätte Euch vorher einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber jetzt seid leise. Rufus, geh vor!« Er bedeutete Armido, sich mit dem Pferd hinter den Bäumen zu halten. Beide Männer spähten wartend in die Dämmerung, die nur die Umrisse der Tannen und des Felsmassivs erahnen ließ.
Nach wenigen Minuten kam der Hund schwanzwedelnd zurück und stieß seinen Herrn an die Hand. »Keine Soldaten, sonst hätte er angeschlagen, aber er will mir etwas zeigen.« Dufy warf die Hasen auf die Erde und spannte seine Armbrust.
Armido band das Pferd an einem Ast fest und ging mit gezogenem Degen neben Dufy her. Normalerweise hätten sie jetzt Hühner, Ziegen oder Kinderlachen gehört. Vielleicht wären die Männer draußen beim Hämmern oder Sägen gewesen, doch es blieb alles still. Manchmal fegte eine Böe durch die hohen Tannen, dass das Holz knarrte. Armido schlug das Herz bis zum Hals, und seine Phantasie ließ die schrecklichsten Bilder in seinem Kopf entstehen. Er dankte Gott, dass er Dufy getroffen hatte, dessen umsichtiges Verhalten ihn vor Unbedachtheiten bewahrte. Endlich erreichten sie die Lichtung. Die Sonne war hinter den Bergen versunken und einem halben Mond gewichen. Der Berg und die hohen Bäume warfen gespenstische Schatten
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