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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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fuhr Dufy seinen Hund an, der an der abgetrennten Gliedmaße schnüffelte. Der Jäger wickelte Jules’ Unterarm in ein Tuch und ging damit nach draußen.

    Armido sah gebannt zu, wie Suzanne die Hautenden um den Stumpf vernähte. »Du machst das großartig, Suzanne. Sidrac wäre stolz auf dich!«
    Verbissen stach sie durch das Fleisch und verknotete schließlich den Faden aus tierischer Sehne. Dann schmierte sie von der Paste aus dem Tiegel auf die Naht und das wunde Fleisch und legte einen Verband aus Tuchfetzen an. Schließlich löste sie den strammen Tuchstreifen, der die Blutung unterbunden hatte. Innerhalb eines Augenblicks tränkte sich der Verband mit Blut. »Jetzt das Bein.«
    Sie vernähte die Stichwunde am Oberschenkel, gab Salbe darauf und legte ebenfalls einen Verband an. Erschöpft sank sie auf einen Stuhl, legte die Hände vors Gesicht und weinte. Armido vergewisserte sich, dass Jules ruhig lag und nicht von seinem Bett rollen konnte, bevor er zu Suzanne ging und sie in die Arme nahm.
    »Marie.« Ohne Suzanne loszulassen, drehte er sich nach Marie um, die mit der Essenszubereitung beschäftigt war. »Gib mir irgendetwas. Ein Stück Brot, egal.«
    Die junge Frau drückte ihm ein Stück Käse in die Hand, das er Suzanne in den Mund schob. »Kauen!«
    Gehorsam aß sie den Bissen auf und weigerte sich auch nicht, als Armido ihr einen Becher von dem Obstschnaps zu trinken gab. Er wartete, bis die Farbe in ihre Wangen zurückkehrte.
    »Der Hase braucht noch eine Weile, bis er gar ist. Aber wir können Dörrfleisch, eingelegte Pflaumen und Käse essen. Brot ist auch noch da«, sagte Marie von hinten.
    »Sehr schön. Bring erst den Kindern, Marie, dann essen wir«, ordnete Armido an. Er tätschelte Suzannes Hände, die noch blutverschmiert waren, ebenso wie ihrer aller Kleidung. »Suzanne, du bist eine starke Frau.«
    Sie schluchzte.

    »Wir müssen alle stark sein, für Sidrac, Aleyd und Isabeau! Für deine Kinder! Suzanne, wir holen sie aus dem Gefängnis. Diese ungeheuerliche Tat kann nicht ungesühnt bleiben. Ich habe Geld aus Lyon mitgebracht. Morgen reite ich nach Embrun.«
    Die erschöpfte Frau sah ihn aus leeren Augen an. »Du? Sie werfen dich in den Kerker, genau wie die anderen. Darauf warten sie doch nur. Nein, Armido. Du kannst nicht gehen!«
    »Aber wir müssen etwas tun!«, rief er und sprang auf, besann sich jedoch und fuhr in ruhigem Ton fort: »Wir sind alle am Ende unserer Kräfte. Morgen sehen wir weiter.«
    »Morgen …«, flüsterte Suzanne, und in ihrer Stimme lag wenig Hoffnung.
    Armido wusch sich die Hände. Morgen würde er einen Weg finden zu erfahren, was in Embrun vor sich ging, und dann wollte er Luisa eine Nachricht zukommen lassen. Sie musste erfahren, was geschehen war. Vielleicht gelang es ihr mit Meister Rossos Unterstützung, noch größeres Unrecht zu verhindern. Er kannte seine Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie alles daran setzen würde, ihm zu helfen.

XXIX
    Die Sibylle von Tibur und der Éléphant fleurdelysé
    W ie viele Sibyllen gibt es? Vier? Oder waren es zwölf?«, sinnierte Luisa, während sie in den blauen Mittagshimmel schaute. Sie lag auf dem Rücken im warmen Gras am Ufer eines Sees mitten im Wald von Fontainebleau. Die Maisonne war bereits so warm, dass Luisa am liebsten in den Teich gesprungen wäre, doch Rosso hatte davon abgeraten. Wenn jemand sie überraschte, brächte sie das in erhebliche Erklärungsnot.
    »Zwölf«, antwortete Rosso, der auf Armeslänge neben ihr lag. Nur ihre Fingerspitzen berührten sich. »Sag mir, wie sie heißen und was sie gesehen haben.«
    Sie verfolgte den Flug eines Reihers und lauschte dem Summen der Bienen, die in rosafarbenen Blütenköpfen nach Nektar suchten. »Die Sibylle von Cumae sagte die Geburt Christi voraus, die von Samos das Kind in der Krippe, und die von Delphi wusste von der Dornenkrönung. Dann war da die cimmerische, die die stillende Maria sah, die europäische wusste von der Flucht nach Ägypten, die agrippinische …« Sie stockte. »Hmm …«
    »Die Geißelung. Die Kreuzigung gehört zur hellespontischen Sibylle und die Auferstehung zur phrygischen. Fehlen noch die Sibyllen von Persien, Libyen und Erythräa, denen die Weissagung an Augustus von der Ankunft Christi zugesprochen wurde. Aber das hat man erst festgelegt, als man
entsprechend den zwölf Aposteln zwölf Sibyllen brauchte. Ursprünglich ist es die Sibylle von Tibur, die Kaiser Augustus wegen der Apotheose befragt.«
    »Mein Bruder hat

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