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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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den Fresken halfen. Einen unsicheren Grünschnabel brauchte er sicher nicht. »Es tut mir leid.« Sie rutschte aus dem Sessel und stand auf.
    »Willst du schon gehen?«
    »Nun, ich dachte …«
    »Sei nicht so empfindlich. Wenn es um die Kunst geht, kenne ich keine Nachsicht.« Er berührte ihre Hand. »Aber du solltest langsam wissen, dass du mir vertrauen kannst und ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, dir zu helfen.«
    Sie trat zu ihm und hätte am liebsten geweint, als er sie umarmte und an sich drückte.

XXX
    Der Köhler vom Mourre Froid
    Tausendmal gab Vordeutung des Wehs der stygische Uhu;
Tausendmal floss von Tränen das Elfenbein; und Gesänge
Wurden gehört, und drohende Wort’ aus heiligen Hainen.
    Ovid, Metamorphosen, XV. Buch
     
     
    L angsam ging der kleine Mann mit den struppigen Haaren um den riesigen kegelförmigen Haufen herum, klopfte hier, zerrte dort an einem vorstehenden Zweig oder warf eine Hand voll Moos auf den Haufen. Armido hatte nie viel von Köhlern gehalten, galten sie doch als einfache, kauzige Kreaturen, die einsam im Wald hausten. Die meisten Köhler waren von vernarbten Brandwunden gezeichnet, litten durch ständigen Schlafmangel unter Angstzuständen und waren so arm, dass sie selten mehr als Wassersuppe zu essen bekamen. Qualmender, beißender Rauch stieg aus dem Kegel auf, und Armido hüstelte, denn obwohl er nicht im Wind stand, kratzte der Rauch ständig im Hals. Der kleine Mann, dessen magerer Körper in verdreckten Lumpen steckte, grinste, als er Armido husten hörte. Dabei entblößte er ein Gebiss, in dem schwarze Lücken die Anzahl der Zähne überwogen.
    »Und heute ist die Luft klar. Wartet mal auf einen nebligen Tag, und Ihr haltet es hier keine Stunde aus.«

    »Wenn ich in Zukunft einen Sack Kohlen sehe, weiß ich, wie viel Arbeit darin steckt, Pierre.« Armido nickte dem Köhler zu, und bevor er die Lichtung verließ, warf er einen Blick auf den Gipfel des Mourre Froid, der gigantisch und schneebedeckt vor ihnen aufragte. Das Hochgebirge flößte ihm, der an die sanften Hügel der Toskana gewöhnt war, immer noch Furcht ein.
    Er lenkte seine Schritte in den dichten Nadelwald. Nur vereinzelt fanden sich auf dieser Höhe Laubbäume, deren Blätter Pierre für seinen Meiler benötigte. Was er darüber hinaus an Reisig und Blattwerk brauchte, holte er sich aus tiefer liegenden Regionen, oder er ließ es sich von seinen stillen Helfern bringen. Jedesmal wenn Armido wie jetzt an den Hütten der Aussätzigen vorüberging, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Die Kapuzen tief in die verstümmelten Gesichter gezogen, hockten die Leprosen vor ihren Hütten oder schlichen wie bizarre Schatten umher. Als Martin Dufy von dem Versteck bei einem Köhler erzählt hatte, hatte er Armido wohlweislich verschwiegen, dass dort auch eine kleine Gruppe Leproser lebte. Zu tief verwurzelt war die Furcht vor der tückischen Krankheit.
    Der weiche Waldboden verschluckte seine Schritte, und die dicht ineinander verstrickten Äste ließen nur wenig Sonnenlicht hindurch. Es ging auf Mittag zu, doch hier unten herrschte ein gleichbleibend diffuses Licht.
    »Gott zum Gruße«, sagte Armido, als eine schlanke Frauengestalt in sicherer Entfernung von ihm verharrte.
    Er hatte erfahren, dass die junge Frau, deren Gesicht von Knoten entstellt und deren Nase zerstört war, einmal schön gewesen sein sollte. Sie war die Tochter eines Ratsherrn aus Embrun, doch nachdem die Krankheit ausgebrochen war, hatte ihre Familie sie verstoßen. Hinter jeder erbarmungswürdigen Gestalt verbarg sich eine leidvolle Geschichte,
doch hier fristeten sie alle ein namenloses Dasein. In der Umgebung wusste man von den Leprosen, aber es würde niemandem einfallen, sich den Aussätzigen freiwillig zu nähern. Darüber hinaus gab es Vorschriften zum Schutz der Gesunden, an die sich die Leprakranken zu halten hatten. Die Leprosen mussten ihre Kleidung kennzeichnen oder mit einer Rassel Laut geben, wenn sie sich Menschen näherten, und sofort aus dem Wind gehen. Sie durften auch nicht aus Quellen trinken oder sich in offenem Wasser waschen. Nicht einmal kirchlich beigesetzt wurden die Aussätzigen.
    Armido wandte den Blick ab, folgte dem ausgetretenen Pfad um einen Felsvorsprung herum, hinter dem sich ein Bach den Berg hinunterwand, und gelangte zu zwei größeren Hütten, die durch einen Stall verbunden waren. Die Hütten bestanden aus je zwei Räumen und waren aus verschieden großen Baumstämmen grob

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