Die Malerin von Fontainebleau
er auf die Verbindungstür zu Armidos Zimmer. Sie war davon überzeugt, dass die Tür vorhin fest verschlossen gewesen war. Jetzt stand sie einen Spalt breit offen. Mit wenigen Schritten war sie an der Tür und riss sie auf. »Was zum Teufel treibst du hier?«, fuhr sie Didier an, der neben Armidos Bett stand und sie scheinbar überrascht ansah.
»Ich ziehe frisches Leinenzeug auf, Monsieur.«
Argwöhnisch betrachtete sie den Provenzalen. »Wo ist denn das frische Leinen?« Das Bett sah gemacht aus, und neue Tücher waren nicht zu sehen.
»Das hole ich, sobald ich das alte Zeug abgezogen habe«, kam es dreist zur Antwort.
Mehr aus Wut über ihre eigene Nachlässigkeit schlug sie die Zwischentür zu. Hatte Didier den Brief gelesen? Konnte
er überhaupt lesen? War genug Zeit gewesen, um erneut in ihr Zimmer zu gehen und dann in den Nebenraum zu flüchten? Aber vielleicht interessierte sich der Diener auch überhaupt nicht für ihre Korrespondenz. Mit dieser wenig befriedigenden Überlegung kehrte sie zurück zu Meister Rosso.
»Warum bist du so schnell wieder entschwunden?«, empfing er sie verwundert an seinem Arbeitstisch. Er trug einen bodenlangen Überrock aus Samt über offenem Hemd und Hose.
Sie zog sich einen Sessel an den Tisch, warf eine mit Fell abgesetzte Decke darüber und kuschelte sich hinein. »Ich hatte Armidos Brief vergessen.«
»Du hättest ihn sofort nach dem Lesen vernichten sollen. In Zeiten wie diesen sollte man keinerlei belastendes Material bei sich haben.« Er deutete auf einen Weinkrug und Schüsseln mit Rosinen und Nüssen. »Nimm dir. Und erzähl mir, was dein verrückter Armido treibt.«
Sie berichtete und schloss mit ihrem Schuldgefühl.
Seine klugen dunklen Augen betrachteten sie eine Zeit lang, bevor er sich über den Bart strich und nachdenklich sagte: »Armido verlangt viel von dir.«
»Aber nein! Ich bin …«
»Seine Schwester«, betonte er.
»Manchmal wünschte ich, ich wäre tatsächlich Luca.«
»Wirklich?« Amüsiert hob Rosso eine Augenbraue, wurde aber sofort wieder ernst. »Gib dich keinen Illusionen hin. Madame d’Étampes hat dir zwar einmal geholfen, aber auch ihr Einfluss ist begrenzt. Marots Stern hängt an einem seidenen Faden. Er kann froh sein, wenn er bei Hof geduldet wird. Vergiss niemals, dass Franz in erster Linie ein König ist, erst danach kommt der Humanist.«
»Willst du damit sagen, dass es richtig ist, was in Embrun
geschieht? Dass dieser Erzbischof und der Monsignore willkürlich morden dürfen?«, entrüstete sich Luisa.
»Nein. Sei nicht albern. Hier.« Er goss ihr einen Becher Wein ein.
Luisa kostete. Der Wein war schwer. Sie wollte ihrem Bruder helfen, aber sie wollte auch malen. »Ich gehe zum König, wenn es sein muss.«
»Er wird dich nicht anhören.«
»Dann begleite mich!«
»Ich habe zu arbeiten. Mein Platz ist hier!« Mit ausgestrecktem Arm machte er eine ausgedehnte Bewegung, die Zeichnungen und Bücher einschloss, die sich um sie herum auftürmten. »Den König zu erzürnen hieße, dies alles aufzugeben.«
»Aber das verlange ich doch nicht. Ein Empfehlungsschreiben von dir könnte mir helfen, mir Zutritt bei Seiner Majestät zu verschaffen.«
»Vielleicht. Ich denke darüber nach.« Rosso lehnte sich zurück, und Luisa kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, wann ein Thema für ihn beendet war.
Der Künstler schien jedoch nicht verärgert, denn er rollte das zuoberst liegende Blatt zusammen, und Luisas Zeichnung kam zum Vorschein.
»Ich habe deinen Entwurf für die Semele hier vorliegen.« Gebannt beobachtete sie seine Mimik, die jedoch nichts verriet.
»Ich habe eine der Mägde studiert, und jetzt scheint mir die Liebende mehr Ausdruck zu haben.«
Kritisch betrachtete er das Blatt. »Eine Verbesserung ist es auf jeden Fall. Aber sie muss noch mehr leiden. Hingebung, Liebe ohne Vorbehalte und das Wissen um den nahen Tod – das alles will ich in ihrem Gesicht lesen.«
Ihre Euphorie für den Entwurf war verflogen.
Er rollte das Blatt zusammen und gab es ihr. »Du kannst es. Geh in dich, lass das Gefühl für diese Figur wachsen. Du kannst es nicht erzwingen.«
Sie strich über die Rolle. »Willst du wirklich, dass ich sie male?«
Verärgert sah er sie an. »Reiz mich nicht, Luca.«
Nein, er spielte nicht mit ihr. Wie hatte sie so etwas denken können. Rosso Fiorentino war ehrlich und hatte sie nicht ködern wollen. Wozu auch? Er hatte genügend erstklassige Künstler hier in Fontainebleau, die ihm bei
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