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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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und die Bühnen, dazwischen liefen Kinder, Hunde, Hühner und Schweine umher und lieferten eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse. Beißende Gerüche von Schweiß und ranzigen Haaren mischten sich mit Schwaden von Geröstetem, Weihrauch und Wachs. Alles schob sich bis an die angrenzenden Häuser, deren düstere Steinfassaden im Kontrast zum wolkenlosen blauen Sommerhimmel standen. Ein beklemmendes Szenario.
    Die Leute beschwerten sich lautstark, als Gé rard die Pferde weiter nach vorn zog. Luisa folgte ihm auf dem Fuß. Erst als ihnen zwei Soldaten mit gekreuzten Spießen entgegentraten, wurden sie zum Stillstand gebracht. Nur Luisa sah, wie Gérard ihr einen auffordernden Blick zuwarf und dann seinem Pferd die Sporen von unten in die Weichteile stieß. Das arme Tier wieherte ob der unerwarteten Misshandlung, stieg hoch und schlug unkontrolliert um sich. Als sich das wild gewordene Tier blindlings in die Menge stürzte, setzten sich einige der Soldaten vor der Ehrentribüne in Bewegung, um die Störung des Prozesses zu beseitigen. Luisa nutzte
den Moment allgemeiner Aufgeregtheit und rannte nach vorn zur Bühne, wobei sie Hindernisse brutal zur Seite trat und um sich schlug, wenn eine Hand nach ihr griff. Sie duckte sich unter einer Hellebarde hindurch, rollte sich einmal über die Erde, kam wieder auf die Füße und griff nach dem Ende eines roten Teppichs, der über den Bühnenrand herunterhing. Daran zog sie sich hoch, stützte sich mit einem Fuß auf dem Gerüst der Bühne ab und schwang sich unter dem Einsatz ihrer ganzen Kraft auf die Bühne.
    Dort stand sie vor dem Pult eines verdutzten Dominikanermönchs, der in dem dramatischen Vortragen von Sidracs Urteil innehielt und sie indigniert anschaute. Ohne weiter auf den Mönch oder die aufgebrachten Gesichter auf der Ehrentribüne zu achten, riss sie den Brief des Königs aus ihrem Gürtel und hielt ihn den Zuschauern hin.
    »Bürger von Embrun, seht her! Ich habe ein Begnadigungsschreiben Seiner Majestät, des allerchristlichsten Königs von Frankreich!«, rief Luisa laut und mit der tiefsten ihr möglichen Stimmlage.
    Einige Leute drehten sich um und wandten ihre Aufmerksamkeit von den fliehenden Pferden und den Soldaten ihr zu.
    »Ihr Bürger, ich zeige euch dieses Dokument mit dem königlichen Siegel, damit ihr bezeugen könnt, dass ich die Wahrheit spreche!«
    Sie hörte schwere Stiefel auf den Bühnenbrettern, Stahl klirrte, und dann schrie jemand: »Verhaftet diesen Irren! Welche Infamie, die heilige Inquisition bei ihrer von Gott gegebenen Aufgabe zu stören!« Die Stimme überschlug sich fast.
    Luisa ging zum Bühnenrand und zeigte den Brief den unten Stehenden. Unter den Schaulustigen waren belesene Bürger, und ein Mann mit federbestücktem Barett rief: »Das ist das Siegel Seiner Majestät!«

    Ein Raunen ging durch die Menge.
    Von hinten schrie dieselbe Stimme, die ihre Verhaftung gefordert hatte: » Exurge, Domine, judica causam tuam ! Steh auf, o Gott, tritt ein für deine Sache! Exurge, Domine !«
    Armido war aufgesprungen und streckte die gefesselten Hände nach vorn. »Luca! Gottes Segen sei mit dir! Geh fort, verschwinde, bevor sie dich auch noch foltern und töten!«
    Aus dem Raunen der Menge erhoben sich Protestschreie. »Man muss den Jungen anhören! Eine Begnadigung durch den König!«
    » Exurge, Domine !«, kreischte Monsignor Sampieri wie von Sinnen. Er stand unter dem roten Baldachin und fuchtelte wild mit den Armen.
    Wie viele Soldaten auf die Bühne gekommen waren, konnte sie nicht sehen, doch sie blieb stehen und hielt das Schreiben in die Höhe, auf dem für alle sichtbar das Siegel mit einer seidenen Kordel prangte. Als sie von hinten gepackt wurde, rief sie: »Die Wahrheit vor Gott! Die Wahrheit vor Gott!«
    »Verlest das Schreiben!«, kam ein Ruf von unten. »Wir wollen es hören!«, schloss sich ein anderer an.
    Luisa wurde von zwei Soldaten gepackt. Ihr Herz raste. Wenn sie ihr das Schreiben fortnahmen, war alles vergebens! Rosso, Fontainebleau, ihre Kunst, alles verlor seinen Sinn, wenn Armido heute starb. Es durfte nicht sein! »Hohes Gericht! Messieurs! Ich flehe Euch an, in Gottes Namen, gewährt Gnade!«
    Sie ließ sich auf die Knie fallen, wobei die Soldaten ihren Griff lösten. Die Bürger von Embrun schienen beeindruckt, erwartungsvolles Schweigen legte sich über den Platz. Das Schweigen der Menge war wirkungsvoller als jeder Aufruhr, denn der Erzbischof erhob sich und breitete die Arme aus.
    »Lasst den jungen Mann

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