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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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Familie. »Aleyd …«, murmelte er und erinnerte sich, dass auch er fast eine Familie gehabt hätte.
    »Wir holen sie jetzt aus dem Kerker, Armido«, sagte Luisa und tätschelte seinen Arm.
    Er zuckte zusammen, denn man hatte ihn der Brandfolter unterzogen, und die Wunden waren noch frisch. Sampieri hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn noch einmal persönlich zu befragen. Sampieri, dieser Dämon in Menschengestalt. Hätte Armido nicht geschworen, ein guter Christ zu sein, wäre das Leben des Pfaffen keinen Pfifferling wert. Er spürte die Hand seiner Schwester kaum, sah die Menschen wie undeutliche Schatten. Nur manchmal stach eine Fratze aus der Masse heraus, und Armido schreckte zurück vor schmutzigen Händen, die ihn packen wollten, oder geifernden Mündern, die Unverständliches riefen. Als sie zum Erzbischofspalast kamen, sträubte sich alles in ihm, durch das dunkle Tor zu gehen, hinter dem sich die Folterhöhle der Inquisition befand.
    »Du kannst hier oben warten, Armido, und ich hole Aleyd«, sagte Luisa.
    »Nein, nein.« Er fasste sich, und sie gingen durch den Innenhof auf den Arkadengang zu, von dem aus die Treppe in den Kerker hinunterführte. Durch die hohen Mauern des erzbischöflichen Palasts drang das Geschrei vom Platz nur gedämpft herein, doch der Gestank von Angst und Tod war auch hier spürbar.
    Die Soldaten waren am Eingang stehen geblieben. Nur der Qualifikator, ein Dominikaner mit teilnahmsloser Miene, führte sie jetzt durch die düsteren Gewölbe, in denen man nie wusste, ob es Tag oder Nacht war. Der Kerkermeister trat ihnen aus einer Kammer entgegen, wischte sich den Mund und zeigte auf Armido. »Was will denn der hier?«

    »Er wurde begnadigt. Wo befindet sich die schwangere Ketzerin?«, wollte der Dominikaner wissen. »Sie wird ebenfalls entlassen.«
    Der Kerkermeister hob die Augenbrauen. »Aber …«
    »Keine Erklärungen!«, wurde er rüde von dem Mönch unterbrochen. »Wo ist die Person?«
    »Ihr seid zu spät«, antwortete der Kerkermeister mit einem gleichgültigen Achselzucken.
    »Warum, wieso zu spät? Sie wurde nicht verbrannt!«, rief Armido verzweifelt.
    »Kommt mit und seht selbst.« Der Kerkermeister brachte sie zu einem Gewölbe, von dem sternenförmig mehrere Gänge abführten. »Hier ist der Frauentrakt.«
    Armido erkannte das Becken wieder, an dem er sich gewaschen hatte, bevor er Aleyd hatte sehen dürfen. Luisa überkam eine fürchterliche Ahnung, doch sie sagte nichts, als Armido an ihnen vorbeistürzte und den Gang suchte, in dem er die Zellen der Frauen wusste. Die anderen folgten ihm langsamer.
    »Aleyd!«, schrie er. »Aleyd! Wir sind gerettet!«
    Luisa sah mit Schaudern die leeren Zellen der Frauen, als Armido einen markerschütternden Schrei ausstieß und zurückkam.
    »Wo ist sie? Was habt ihr Hurensöhne mit ihr gemacht?« Armido wollte sich auf den Kerkermeister stürzen, doch der hatte schon seinen Knüppel gezückt und hielt ihn warnend hoch.
    »Nur gemach, mein Freund!«, warnte er Armido scharf.
    Nun kamen auch Luisa und der Qualifikator näher und konnten sich davon überzeugen, dass die Gittertüren offen standen und die Zellen leer waren. In der letzten Zelle war eine dunkle Lache auf dem Boden zu sehen, und auch die Strohsäcke wiesen große dunkle Flecken auf.

    »Ist das Blut?«, fragte Luisa vorsichtig.
    »Ganz recht, Monsieur. Die Ketzerin hatte vorzeitig Wehen und ist bei der Geburt des Kindes gestorben«, sagte der Kerkermeister.
    Armido griff nach den dicken Eisenstäben und schlug mit dem Kopf dagegen. »Nein!«
    »Ist das Kind ebenfalls tot? Und wo sind die Leichen?«, fragte Luisa und verstand plötzlich den wissenden Blickwechsel zwischen dem Erzbischof und Sampieri. Sie hatten gewusst, dass Aleyd gestorben war. Nur deshalb hatte er sich so großzügig gegeben. Wie viel Schlechtigkeit musste in diesem Menschen wohnen!
    »Wohin sie alle kommen, ins Massengrab für die Armen und Aussätzigen vor der Stadt. Da braucht ihr gar nicht erst zu suchen, die findet ihr niemals«, sagte der Kerkermeister und beobachtete argwöhnisch Armido, der das Gitter losließ und sich umdrehte.
    »Ich will meine Frau und mein Kind sehen. War es ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte er. In seinem weißen Gewand mit dem struppigen Bart und den geschorenen Haaren wirkte er auf Luisa wie ein Fremder, und er war auf eine beängstigende Weise beherrscht, so dass sie befürchtete, er könnte jeden Moment entweder zusammenbrechen oder einen der beiden Männer

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