Die Malerin von Fontainebleau
Ausnahmesituation, und ich werde mich bei dir zu entschuldigen wissen.« Er drückte ihr einen Kuss in den Nacken und schob sie zur Tür. »Danke, Josette, du bist ein Engel.«
»Dass ich das nicht bin, weiß ich …« Sie drehte sich um und küsste ihn zum Abschied auf die Lippen. Dann ging sie mit schwingenden Hüften davon.
Seufzend lehnte sich Armido von innen gegen die Tür und ließ den Blick über sein Zimmer schweifen, in dem sich das Bett, mehrere Stühle, ein größerer runder Tisch, eine Truhe und ein Waschtisch befanden. Seine wenigen Kleidungsstücke und die Bibel bewahrte er in der verschlossenen Truhe auf. Rasch deckte er das Bett zu und wusch sich das Gesicht. Kaum hatte er seine Haare geordnet, klopfte es wieder an die Tür.
Es war noch früh am Abend, und im Schloss herrschte reger Betrieb, was auch damit zusammenhing, dass der König in naher Zukunft erwartet wurde. Wann genau Seine Majestät tatsächlich zu Besuch kam, war nie genau zu sagen, doch dann musste alles vorbereitet sein. Nervös rieb Armido sich die Stirn. Was hatte seine Schwester sich nur dabei gedacht. Wenn sie es überhaupt war, aber wer sollte es sonst sein? Sie würden beide in große Schwierigkeiten geraten.
Armido öffnete die Tür. »Mein Gott!«, entfuhr es ihm. »Bring sie rein, bring sie doch rein! Sie sieht ja mehr tot als lebendig aus!«, rief er und stieß die Tür weit auf, damit der Page, der eine schmächtige Gestalt stützte, hereinkommen konnte.
Verunsichert sah der Junge sich um. »Sie?«
Armido spähte auf den Gang hinaus, sah niemanden und warf die Tür ins Schloss. »Ihn natürlich. Ich bin ganz durcheinander. Bring uns Essen, etwas Kräftigendes, Fleisch, Brot, Käse, was du findest. Nur bring es schnell.«
Der Page hatte Luisa auf einen Stuhl gesetzt. Sie war kaum mehr ein Schatten ihrer selbst. Zitternd hockte sie dort in ihren durchnässten Kleidern und nahm alles um sie herum nur wie durch einen dicken Nebel wahr. Aber sie hörte die vertraute Stimme ihres Bruders. »Armido?«
Ihr Bruder wartete, bis der Diener gegangen war, kam zu ihr und nahm ihre Hände in seine. »Du bist ganz kalt. Luisa, wie konntest du überhaupt bis hierher kommen? Aber erzähl mir das erst, nachdem wir dich aufgewärmt haben. Zieh deine Sachen aus. Du siehst aus wie ein Landstreicher, kein Wunder, dass der Junge kaum glauben konnte, dass du ein Maler bist.« Er nahm ihr den zerknautschten Hut vom Kopf und erblickte verfilzte Haare, die wirr um Luisas abgemagertes Gesicht hingen. Ihr Hals war dunkel von Schmutz, und die ursprüngliche Farbe ihres Hemdes ließ sich nur noch erraten. »Wann hast du zuletzt gegessen, geschweige denn, dich gewaschen?« Er half ihr aus dem zerschlissenen Wams und warf es angewidert auf den Boden.
Sie zuckte die Schultern. »Vor zwei Tagen. Ich weiß nicht. Armido, ich bin so froh, dich zu sehen!« Schluchzend fiel sie ihm in die Arme. Die Angst und die Strapazen der vergangenen Wochen hatten sie an die Grenzen dessen gebracht, was sie ertragen konnte. Besonders die letzten zwei Wochen in Frankreich waren furchtbar gewesen. Sie sträubte sich, als ihr Bruder ihr auch das Hemd ausziehen wollte.
»Luisa, es ist nass, und es stinkt. Du musst es ausziehen, und außerdem habe ich viele Frauen gesehen, also bitte.« Entsetzt sah er zu, wie sie das Tuch, mit dem sie ihre Brüste
abband, abwickelte. Sie war so mager, dass ihr Oberkörper sich kaum von dem eines Jungen unterschied. Die blasse, teilweise blau verfärbte Haut spannte über den Rippen, und unter den Armen und an den Ellenbogen zeigten sich Schrunden, die durch Schmutz und Hunger entstanden waren. Ihre Stirn brannte vor Fieber. Sie war wohl im letzten Moment zu ihm gekommen. Noch einen oder zwei Tage, und ihre Kräfte hätten sie gänzlich verlassen.
»Mir ist kalt.« Zitternd schlang sie die Arme um den Körper.
Armido holte eines seiner Hemden, zog es ihr über, legte sie in sein Bett und deckte sie zu. »Zuerst aber musst du etwas essen, in der Zwischenzeit lasse ich dir ein Bad ein, und dann kannst du schlafen.«
Es dauerte nicht lange, und der Provenzale kam mit einem Tablett appetitlich riechender Speisen zurück. »Den Künstlern soll es an nichts mangeln, hat der Großkämmerer uns angewiesen, und Euer Bruder sieht so aus, als hätte er großen Hunger.«
»Danke.« Armido sah eine Terrine mit Hühnersuppe, Pastete und Weizenbrot und ein Stück Eiertorte. In einem Krug dampfte heißer Gewürzwein. »Sehr schön, das wird ihn
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