Die Malerin von Fontainebleau
grauen Haaren. Seine Kleidung war schäbig und sein Laden staubig, aber das täuschte über die Schätze hinweg, die der kundige Buchhändler in seinen Regalen verwahrte. Er sprach fließend Latein und übersetzte Griechisch, und er hatte eine Schwäche für revolutionäre Ideen und deren Vertreter. Eine Schwäche, die ihn 1534 fast das Leben gekostet hätte. Nur die Fürsprache seines Freundes Robert Estienne, der den persönlichen Schutz des Königs genoss, hatte ihn vor dem Scheiterhaufen gerettet.
Wie alle Räume seines schmalen Hauses war auch dieser mit Bücherstapeln vollgestellt. Thibault pflegte in diesem Hinterzimmer seiner Buchhandlung auch zu essen, und manchmal nächtigten Freunde hier, weshalb ständig ein Topf mit Eintopf über dem Feuer hing. In einem Armlehnstuhl saß der letzte Gast dieses Nachmittags, ein hochgewachsener Mann mit langem Bart, dessen Umhang nass und dreckverkrustet war. Barbe George, wie er genannt wurde, war ein Prediger von Dubrays Glaubensgemeinschaft, den »Armen von Lyon«, wie sie sich selbst nannten. Die Theologen der Sorbonne nannten sie Vaudois, Waldenser, was für die Konservativen gleichbedeutend mit Ketzern war.
»Wie soll ich denn ruhig bleiben, wenn sie immer neue
Unwahrheiten über uns säen? Mein Gott, erst gestern habe ich wieder gehört, dass die Herren Theologen uns der Hexerei bezichtigen. Sie behaupten, dass wir das Christentum zerstören.« Jules lachte trocken. »Das Schönste war, dass sie verbreiten, wir hätten eine Salbe, mit der wir uns einreiben, bevor wir den Teufel anbeten!«
Aleyd warf die langen rotblonden Haare zurück und lachte schallend. »Das ist so lächerlich, Jules, dass es einfach niemand glauben kann! Ich meine, das ist kompletter Unsinn!«
»Leider nicht, Schwester«, meldete sich barbe George mit tiefer Stimme zu Wort. »Die Menschen glauben diesen Irrsinn, weil sie ihn glauben wollen. Das war schon immer so. Sie brauchen einen Feind, auf den sie ihre Ängste und ihr eigenes Versagen projizieren können.«
»Als ob der Krieg uns nicht genug abverlangt …«, meinte Jules.
Robert Estienne streckte die langen Beine aus. »Anscheinend nicht genug, außerdem ist doch vor wenigen Wochen Waffenstillstand geschlossen worden. In Mozzon?«
»Mozzon in Aragón, ja, ja. Jetzt verhandeln sie in Leucate. Montmorency und der Kardinal von Lothringen und auf der habsburgischen Seite Francisco de los Lobos und Nicolas Perrenot.« Der Prediger beugte sich vor und betrachtete sehnsüchtig den Eintopf.
Thibault rieb sich den Leib und ging zum Feuer. »Woher weißt du das so genau, barbe George?« Er hob den Deckel ab und rührte um.
»Ich komme herum. In meiner Position ist es immer gut zu wissen, was passiert. Gefährlich lebe ich ohnehin.« Er grinste. »Das riecht so gut, mein bester Thibault, dass mir der Speichel gleich das Kinn herunterläuft.«
»Dagegen müssen wir etwas tun …« Thibault holte eine Kelle und Holzschüsseln und füllte jedem eine Portion ein.
Der barbe aß schnell und lehnte eine zweite Portion nicht ab. »Danke, mein guter Thibault. Ich weiß gutes, nahrhaftes Essen zu schätzen. Der Herr segne dich!«
»Was bedeutet das mit der Akademie in Lausanne, barbe ? Dürfen Laien jetzt nicht mehr predigen?«, fragte Jules.
»Nein, ganz so ist es nicht. Aber die Gemeinden werden größer, und es gibt schon jetzt nicht genügend barbes . Die Verfolgungen haben zugenommen. Zu viele mussten bereits sterben, und es wird immer schwieriger, in den Dörfern auszubilden, ohne aufzufallen. Es wird darauf hinauslaufen, dass der Nachwuchs an ministres , wie man die Prediger jetzt nennt, in den neuen Akademien der Reformation ausgebildet wird. Lausanne und Genf sind ein Anfang, mehr Akademien werden folgen.«
»Sind unsere Barbenschulen plötzlich nicht mehr gut genug?« Jules gefiel diese Entwicklung nicht, bedeutete sie doch, dass das Wort Gottes wieder nur von Privilegierten gelehrt werden durfte, genau wie bei den Katholiken. Bisher hatte jedes Tal der Vaudois im Süden Frankreichs und im Piemont eine eigene Barbenschule gehabt, in der die Laienprediger ausgebildet wurden.
Barbe George seufzte. »Doch, sie sind es. Aber willst du die Gefahr denn nicht sehen, Jules? Solange wir die Vaudois sind, die Ketzer, eine teuflische Sekte, stehen wir allein da und sind schutzlos. Wenn wir aber zu den Reformierten gehören, dann kann man uns nicht länger willkürlich vernichten. Hast du schon vergessen, wie es dem armen Martin Gonin letztes
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